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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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Sie spielten beim Prozess nach dem Massaker am Turchino-Pass eine Rolle. In den Akten findet sich der Name eines Hauptmanns der Wehrmacht mit Namen Helmut Hessen.«
    »Und?«
    »Könnte er nicht ein Verhältnis mit einer Italienerin gehabt haben, die dann von ihm schwanger wurde?«
    »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Warum?«
    Er reagierte verärgert, meine Hartnäckigkeit schien ihm lästig. »Die Frauen der Resistenza gingen nicht mit den Deutschen ins Bett, darum.«
    »Mein Auftraggeber ist sich nicht sicher, ob Nicla im Widerstand war.«
    »Das kann ich mir vorstellen. Wenn dein Klient behauptet, sie habe ihr Kind weggegeben, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder sie wurde gezwungen oder sie hatte den Verstand verloren.« Er war wütend.
    »Meinst du, man hat sie gezwungen?«
    Er schien seine heftige Reaktion zu bereuen. »Noch Kaffee?«, fragte er und wollte aufstehen.
    Ich hielt ihn zurück. »Und du?«
    »Vielleicht noch ein Schlückchen. Wenn ich nicht schlafen kann, liegt es bestimmt nicht am Kaffee.« Langsam entspannte er sich.
    Ich erhob mich, griff nach der Kaffeekanne und füllte die Tassen. Er schien jetzt ganz ruhig.
    »Die Nazis waren besessen von der Idee, die Welt zu beherrschen. Doch für ihre Expansionspläne brauchten sie Menschen, arische Menschen natürlich. Die eigene Jugend allerdings starb wie die Fliegen im Bombenhagel der Alliierten.«
    |42| »Das heißt, mein Klient könnte so ein Kind sein, das man seiner Mutter weggenommen hat?«
    »Genau.«
    »Du schließt also die Existenz dieser Nicla nicht aus, und auch nicht, dass sie noch ein zweites Kind geboren hat?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ausschließen kann man gar nichts. Aber du wirst sie nicht finden, unmöglich.«
    »Vielleicht unterschätzt du mich, Olindo.«
    »Bestimmt nicht. Ich habe von deinen Ermittlungserfolgen in der Zeitung gelesen und bin sicher, dein Vater wäre stolz auf dich, wenn er noch leben würde. Aber eine Frau zu suchen, von der du nicht einmal den Nachnamen kennst? Was ist, wenn diese Nicla schon tot ist? Wie willst du dann ihren Sohn finden?«
    »Wie immer. Indem ich Fragen stelle. Mein Auftraggeber meinte, sie hätte in Sestri gelebt, irgendjemand muss sie gekannt haben.«
    Wieder schüttelte er den Kopf. »Ich an deiner Stelle würde die Finger von der Sache lassen. Ich fürchte, bei diesem Spiel kann nur einer gewinnen.«
    Seine Worte entführten mich in die Vergangenheit. Bittersüße Erinnerungen stiegen in mir auf. Diesen Satz hatte ich immer von meiner Mutter gehört, wenn sie guter Laune war. Meist gemünzt auf mich, meinen Vater und meinen Großvater, wenn wir wieder einmal leidenschaftlich über Belanglosigkeiten diskutierten und kein Ende fanden. Dass wir uns ständig stritten, lag bestimmt daran, dass wir alle unter einem Dach lebten. Ich erinnerte mich gut an einen gemeinsamen Fernsehabend. Es gab einen Krimi mit Kommissar Maigret, der von Gino Cervi gespielt wurde. Sergio Tofano verkörperte einen alten Mann, der in einen Mord verwickelt war. Er wirkte so verängstigt, dass er uns allen sympathisch war. Auch zwei Frauen |43| spielten in diesem Fall eine Rolle, Mutter und Tochter. Regelrechte Hexen! Sie schienen der Hauptgrund für die Angst des Alten zu sein. Das war zumindest die Meinung meines Großvaters, die er auch vehement vertrat. Mein Vater widersprach aufs Heftigste. Ich wiederum hatte vorher das Buch gelesen und kannte deshalb die Hintergründe. Ich versuchte einige Fakten einzustreuen, hielt mich aber sonst zurück. Meine Mutter verfolgte die Szene mit einem leisen Lächeln: »Ich fürchte, bei diesem Spiel kann nur einer gewinnen.«
    Mein Großvater lachte nur, und ich verriet die Auflösung, was ihnen den Spaß gehörig verdarb. Mein Vater war stinksauer, wieder einmal den Kürzeren gezogen zu haben.
    Meine Mutter war eine schöne Frau, wirkte aber immer distanziert. Ihre Träume hatte sie nie aufgegeben, selbst während der schlecht bezahlten Plackerei in der Tabakfabrik nicht.
    Trotz aller Bemühungen war es meinem Vater und mir nicht gelungen, richtig an sie heranzukommen. Sie schien in einer anderen Welt zu leben. Lange hatte ich darunter gelitten. Und ich fürchte, mein Vater noch viel mehr. Irgendwann in meinem Leben habe ich begriffen, dass das nicht an uns lag. Meine Mutter war eben so, für nichts und niemanden erreichbar. Mit dieser Einsicht konnte ich meinen Frieden mit ihr finden.
    Olindo sah mich neugierig an. Ihm war nicht entgangen, dass ich meinen eigenen

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