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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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Gedanken nachhing, wenn er auch nicht wusste, warum. In diesem Augenblick klingelte es.
    »Das ist meine Tochter, sie kommt, um mir das Mittagessen zu machen.«
    Ich stand auf, um die Tür zu öffnen. Eine gut aussehende, elegant gekleidete Frau um die sechzig stand vor mir. |44| Die blond gefärbten Haare waren toupiert. Als sie mich sah, wirkte sie überrascht, ja fast verängstigt. Noch bevor ich mich vorstellen konnte, erschien Olindo.
    Sie zog ihren Pelzmantel aus und ging direkt in die Küche. Viel Zeit hatte sie nicht, es gab einiges zu tun. Olindo erklärte, wer ich war, und sie schien sich bestens an alle zu erinnern: an meine Eltern, sogar an meinen Großvater. Was für ein Gedächtnis! Ihre Freundlichkeit allerdings hielt sich in Grenzen. Vielleicht mochte sie keinen Pfeifenrauch. Oder sie war verärgert, dass ich ihren Vater mit meinen Fragen belästigte. Unser Gespräch blieb förmlich und beschränkte sich auf das Nötigste.
    Olindo brachte mich zur Tür. Beim Hinausgehen schlug er vor, mich an Balletta zu wenden. Hinter diesem Namen verbarg sich Enrico Parodi, der mit sechzehn als Partisan in die Berge gegangen war.
    »Er ist noch jung und erinnert sich bestimmt an alles. Dreißig Jahre lang hatte er ein Eisenwarengeschäft, er kennt ganz Sestri.«
    Enrico wohne in der Viale Canepa, der alten Mönchsstiege, fügte er hinzu. Er werde ihm meinen Besuch ankündigen. Seine plötzliche Hilfsbereitschaft überraschte mich. Während er mir die Hand gab, sagte er: »Ich mache das nur, weil du der Sohn von Anna und Guido bist. Ich persönlich halte die ganze Geschichte für Humbug, du vergeudest nur deine Zeit.«

|45| Ein romantischer Spaziergang
    Sestri Ponente, Januar 1944
     
    Ein weiterer sonniger Wintertag. Als sie um sechs Uhr morgens die Fabrik betreten hatte, war es noch stockfinster. Um den Blick nach oben zu richten und nach Sternen Ausschau zu halten, war sie viel zu müde gewesen. Wer schaute in Zeiten wie diesen schon zum Himmel, um Sterne zu beobachten? Nur wenn die Sirenen Luftalarm gaben, blickte man ängstlich nach oben, um zu sehen, ob die Bomber im Anflug waren. Dann rannte man so schnell wie möglich los, um im nächsten Bunker Schutz zu suchen.
    Jetzt war die Schicht zu Ende und Tilde verabschiedete sich am Werkstor von ihren Kolleginnen. An ihren Gesichtern konnte man ablesen, wie müde sie waren. Nach neun Stunden in der Kantine waren die Beine schwer wie Blei. Die meisten gingen in Richtung Straßenbahnhaltestelle. Die Glücklicheren machten sich mit dem Fahrrad auf den Heimweg. So wie Tilde. Sie schob ihr altes Fahrrad durch die Menschenmenge, dabei ließ sie ihren Blick umherschweifen.
    Ungefähr dreißig Meter vor dem Fabriktor stand ein Militärlaster, auf der Pritsche ein Dutzend deutsche Soldaten mit matt glänzenden Mauser-Gewehren im Anschlag. |46| Sie erstarrte. Das hatte es noch nie gegeben. Eine Razzia konnte es nicht sein, dafür waren es zu wenige. Vielleicht ein Warnschuss Basiles für die »Roten« in der Fabrik? Oder warteten sie auf jemanden?
    Schließlich bemerkte sie ihn, er lehnte an der Fabrikmauer. Noch immer bekam sie weiche Knie und ihr Herz begann zu rasen, wenn sie ihn sah. Auch heute war das nicht anders. Aber dieses Mal kam noch etwas hinzu: Heute musste sie es ihm sagen.
    Wegen eines Herzfehlers war er für den Wehrdienst untauglich, deshalb arbeitete er auf der Werft. Über seinem grauen Arbeitsanzug trug er einen Regenmantel, in dem er noch magerer wirkte als sonst. Wegen seiner Figur nannten sie ihn Biscia, die Natter.
    Sie hatten sich einige Wochen nicht gesehen. Die blonden Haare waren gewachsen und mit Brillantine nach hinten gekämmt. Um sich die Wartezeit zu vertreiben, hatte er sich eine Zigarette gedreht, die er jetzt rauchte. Das heutige Treffen war etwas ganz Besonderes, das war beiden klar.
    Tildes Gefühle waren gespalten. Sie freute sich, ihn nach so langer Zeit wiederzusehen, aber sie hatte auch Angst. Was, wenn die Deutschen seinetwegen hier waren? Biscia war Widerstandskämpfer, er hatte Waffen vom Monte Gazzo ins Tal gebracht. Er war nicht älter als sie, doch der Krieg hatte ihn geprägt, er wirkte zu allem entschlossen. Tilde hatte Grandi sagen hören, dass man von seiner Sorte noch mehr gebrauchen könnte. Biscia war zuverlässig und geschickt, blieb immer ruhig und folgte widerspruchslos den Befehlen der Anführer. Gerade das machte ihr Angst. Ihr wurde übel. Die wässrige Suppe, die sie am frühen Mittag in der Kantine gegessen

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