Bitteres Rot
neben mir unterbringen. Er blickte nervös auf die Uhr, dann auf den Boden. Dabei sagte er kein Wort. Da ich ihn seit mehr als zwanzig Jahren kannte, wusste ich sehr genau, dass sein Verhalten nichts mit mir zu tun hatte. Der junge Polizist hatte dieses Glück nicht.
Ich fragte mich, ob die Diagnose des Chefarztes eher positiv oder eher negativ war. Seit mehr als sechzehn Stunden saß ich nun vor dieser Tür. Die Angst, dass Jasmine sterben könnte, hatte mich nicht schlafen lassen. Das war Antwort genug. Alles andere, mochte es noch so wichtig sein, erschien mir hier und heute zweitrangig. Ich dachte an die quälend lange Zeit, bis sie endlich freigekommen war. Ein Albtraum, der fast als Tragödie geendet hätte …
Drei Monate hartnäckiger Ermittlungsarbeit hatte die Mordkommission schließlich zu dem Versteck geführt, in dem die Bande die blutjungen Frauen eingesperrt hatte. |53| Ausländerinnen ohne Aufenthaltserlaubnis, überwiegend aus Afrika und Osteuropa, die darauf warteten, an perverse Sadisten verkauft zu werden. Bei der Erstürmung des Bauernhofs zwischen Voltaggio und Gavi in einer kalten Januarnacht konnte die Polizei acht Frauen befreien, die Hälfte davon noch minderjährig. Ein Erfolg auf ganzer Linie. Ohne Blutvergießen war es gelungen, fünf Entführer zu verhaften und acht Opfer vor dem Martyrium zu bewahren. Schade nur, dass die Prostituierte Jasmine Kilamba von der Elfenbeinküste nicht unter ihnen war. Nach der Aussage der Befreiten fehlten noch zwei weitere Frauen. Wo sie hingebracht worden waren, wussten sie allerdings nicht.
Um zu vermeiden, dass ihre neuen »Besitzer« in Panik gerieten, hatte man auf eine Pressekonferenz verzichtet. Außerdem hätte der Schritt in die Öffentlichkeit die flüchtigen Bandenmitglieder alarmiert und den endgültigen Abschluss der Aktion gefährdet.
Pertusiello hatte den Einsatz selbst geleitet. Gemeinsam mit den Inspektoren Fois und Levrero hatte er an der Spitze eines schwer bewaffneten Sondereinsatzkommandos den Bauernhof erstürmt. Nach ihrer Rückkehr in die Questura hatte mich Pertusiello umgehend angerufen und mir mitgeteilt, dass sich Jasmine nicht unter den befreiten Frauen befand. »Aber wir werden sie finden, wir müssen die Typen nur zum Sprechen bringen«, hatte er mir damals versichert.
Ich war sofort in sein Büro geeilt, um mich über den Stand der Dinge zu informieren. Anführer der international operierenden Verbrecherbande waren die Trevisan-Brüder, Celso und Gustavo. Sie stammten aus der Gegend um Vicenza und wurden bereits wegen Mordes und Zuhälterei gesucht. Pertusiello teilte mir mit, dass seine Männer die beiden gerade befragten, während er |54| noch auf Dottoressa Ferlito, die zuständige Staatsanwältin, wartete.
»Celso ist ein harter Hund, aber gib uns vierundzwanzig Stunden und Gustavo packt aus.« Er nahm vorsichtig einen kleinen Schluck Kaffee.
Ein ganzer Tag? Aber ich hielt mich zurück, ändern konnte ich sowieso nichts.
»Hast du mit den Frauen gesprochen?«
»Ja. Im Bus, mit dem man sie weggebracht hat.«
»Kannten sie Jasmine?«
»Zwei haben sich an sie erinnert.«
»Hast du gefragt, wann sie verkauft wurde?«
Er nickte, fingerte umständlich eine Zigarette aus der Packung und zündete sie an. »Vor einer Woche.«
»Eine Woche? Hält man das durch?« Ein Schauer überlief mich.
»Sie wussten nicht, was sie erwartete. Man hatte ihnen vorgegaukelt, das wären alles reiche Männer auf der Suche nach einer Ehefrau.«
»Auch Jasmine?«
»Was weiß denn ich?« Er wurde unwirsch.
Das reichte mir nicht. Ich blieb hartnäckig. »Wohin habt ihr sie gebracht?«
»An einen sicheren Ort.«
Sein Herumdrucksen brachte mich zur Weißglut. »Jetzt hör mal gut zu, Totò«, blaffte ich ihn an, »mit mir brauchst du diese Nummer nicht abzuziehen. Ich bin doch nicht irgendein Schmierfink von der Zeitung.«
Er lief feuerrot an. »Genau das ist das Problem, Bacci«, fuhr er mich seinerseits an. »Was willst du eigentlich hier? Mit welchem Recht spielst du dich so auf?«
»Das weißt du ganz genau, du aufgeblasener Idiot. Und so was will mein Freund sein?«
»Warum wohl habe ich mir die Nacht um die Ohren |55| geschlagen, während du selig geschlafen hast? Denkst du eigentlich auch mal an mich, daran, ob ich schlafe oder nicht, du undankbarer Mistkerl? Du warst der Allererste, den ich angerufen habe, unmittelbar nach dem Zugriff. Weißt du, was das heißt? Noch nicht einmal die Staatsanwältin wusste, wie die
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