Bitteres Rot
Männchen mit dem Schnauzbart anzusehen, das kerzengerade aufgerichtet den Arm zum Gruß nach oben reckte.
»Du wirst sehen,
Herr Hauptmann
«, hatte sie ihm spöttisch prophezeit, »anstelle eurer Propaganda musst du irgendwann einen Film mit Amedeo Nazzari über dich ergehen lassen, der dir die Augen öffnen wird.«
|175| Dann hatte sie ihm erzählt, dass Partisanen vor einigen Tagen in den Vorführraum des Vittoria-Kinos in der Via Merano in Genua eingedrungen waren und die Filmrolle eines faschistischen Propagandafilms verbrannt hatten. Hessen hatte zwar gelacht, doch es war das freudlose Lachen eines trübsinnigen Säufers gewesen. Sein einziger Lichtblick war Tilde.
Trotz ihrer zunehmenden Selbstsicherheit hatte es Tilde noch immer nicht geschafft, ihm von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Er wäre bestimmt entsetzt über den Bastard. Immerhin war er ein Offizier der Wehrmacht, da konnte man nichts anderes erwarten. Doch egal, ob er sie danach noch wiedersehen wollte oder nicht: dreckiger und minderwertiger als jetzt konnte sie sich kaum mehr fühlen. Vielleicht würde sie dieses Zimmer nie wieder betreten. Die Gespräche, die verzweifelten Umarmungen und die ganze Atmosphäre: hier, inmitten des finsteren Parks, wirkte alles so irreal und bizarr. Sie befanden sich in einem imaginären Ort außerhalb der Welt, in einer Luftblase tief unten im Ozean, dort, wo sie der gewaltige Sturm nicht erreichen konnte.
Vielleicht würde Hessen sie drängen, auch ihrer Mutter, ihrem Vater und Biscia die Wahrheit zu sagen, auf die Gefahr hin, dass sie ihre Familie um Verzeihung bitten musste. Ob sie diese Schmach überstehen würde? Dass mit dem Eingeständnis ihrer Schwangerschaft auch ihre Dienste für die Resistenza beendet wären, interessierte sie nicht.
Sie dachte daran, wie melancholisch und resigniert Hessen sie angesehen hatte, in jener Nacht, in der sie sich kennengelernt hatten. Er hatte weder Kampfeslust noch Überlebenswillen ausgestrahlt. Nur Mitleid hatte sie in seinen leeren Augen gesehen, damals, als sie wie ein Häufchen Elend vor ihm saß. Was war übrig geblieben |176| von seinen Gefühlen, wenn er schwitzend und enthemmt über sie herfiel? Es ging nur um Macht, das war alles. Für ihre Liebe konnte es keine Zukunft geben, auch wenn sie insgeheim darauf gehofft hatte. Und warum? Weil sie eine patriotische Pflicht erfüllte, die aus ihr eine Spionin und aus ihm einen Verräter gemacht hatte?
Tilde wollte es einfach nicht wahrhaben. Sie war überzeugt, auf der richtigen Seite zu stehen, und wusste auch, dass der Hauptmann ihre Entscheidung tolerierte. Aber eines war klar: Das Leben einiger junger Italiener zu retten würde nicht genügen, den deutschen Offizier von den Schuldgefühlen zu erlösen, ein schlechter Soldat zu sein. Eines Tages würde er aus seinem Delirium erwachen und dann wäre nicht einmal seine getötete Familie Rechtfertigung genug für sein unpatriotisches Verhalten, zumal es ja die Engländer waren, die sie ausgelöscht hatten, nicht die Luftwaffe.
Aber ihre Selbstsicherheit, ihr ätzender Spott waren nur Fassade, hinter der sich Angst und Hilflosigkeit verbargen. Sie konnte ihn als Liebhaber verspotten und als Soldat abqualifizieren, aber nur, weil er ihr Spiel mitspielte. Weil er es zuließ, in diesem Sumpf aus Sex, Alkohol und Niedertracht zu versinken. So musste es den Deutschen bei ihrem Rückzug aus Russland gegangen sein, als ihre Panzer in den endlosen Weiten der Steppe in Schnee und Schlamm stecken geblieben waren.
Der wahre Grund für ihr Schweigen war die Angst, ihre Freiheit zu verlieren. Solange sie ihr Geheimnis bewahrte, konnte sie selbst entscheiden, ob sie weiter zu dem Deutschen ging oder nicht, ob sie Biscia oder einen Nazi-Offizier liebte, ob sie das Kind behalten oder abtreiben wollte. Sie blieb Herrin über ihr eigenes Leben. Ihr war klar, dass Hessen irgendwann genug von ihr haben oder gezwungen werden könnte, sie an Maestri auszuliefern. |177| Aber dann würde er nur über ihr Leben und nicht über ihre Seele bestimmen.
Doch wenn er wüsste, dass sie ein Kind von ihm bekam?
Tilde musste lächeln, wenn sie daran dachte, dass Hessen noch immer nichts bemerkt hatte. Wahrscheinlich war er immer schon zu betrunken, wenn sie sich im schummrigen Licht des Kaminfeuers auszog.
»Helmut«, sagte sie entschlossen und zog ihre Knie an, »ich muss dir etwas sagen.« Sie sah ihn nicht an.
»Nur zu,
Fräulein «
, erwiderte er schleppend.
»Ich erwarte ein
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