Bitteres Rot
Inhaber, oder?«
»Aber nein«, antwortete sie mit einem überheblichen Lächeln, »die Chefin ist Signora Mariani. Sonst würden wir doch ›Lady Randazzo‹ heißen, meinen Sie nicht auch?«
Die Sekretärin machte trotz ihrer schrecklichen Haarfarbe einen intelligenten und schlagfertigen Eindruck, was sie mir sympathischer machte.
»Aber der Fahrer …«
»Das ist Signor Randazzo, ein Angestellter, genau wie |169| ich. Er ist der Mann für alle Fälle, kümmert sich um Material und Reinigungsmittel und bringt die Frauen manchmal zur Arbeit. Ach übrigens, er müsste jeden Moment kommen, wollen Sie warten?«
»Ich muss nur noch rasch etwas erledigen«, sagte ich und setzte ein gewinnendes Lächeln auf, »in fünf Minuten bin ich wieder da.«
»Kann ich ihm etwas ausrichten,
Signore
…?«
»De Pra«, antwortete ich rasch, »nicht nötig, ich möchte persönlich mit ihm sprechen.«
»Wie Sie wollen«, sagte sie ein wenig pikiert, »aber er wird nicht lange hier sein, er muss sofort wieder los.«
Wie elektrisiert verließ ich das Büro und ging zu Essam hinüber. Seine schwarzen Augen strahlten vor Stolz und Glück, als ich ihm von meinem Gespräch berichtete. Als Jasmine damals bei mir wohnte, hatte er sich wohl ein bisschen in sie verliebt, was seiner Mutter gar nicht recht war. Eine Prostituierte!
Essam und ich beobachteten das Geschehen im Büro. Wir sahen, wie eine hell gekleidete ältere Frau mit blonder Kurzhaarfrisur den Raum betrat, offensichtlich die Chefin. Die Frauen sprachen miteinander, dabei wirkte die Chefin ziemlich ungeduldig. Wartete sie auf jemanden? Nach etwa zwanzig Minuten schaltete die Sekretärin den Computer aus und nahm den Telefonhörer ab. Gegen Ende des kurzen Gesprächs nickte sie. Dann legte sie auf und sagte etwas. Die ältere Frau breitete die Arme aus. »Endlich!«, schien diese Geste auszudrücken.
Und tatsächlich, keine fünf Minuten später tauchte ein weißer Kombi auf. Mit einem verschmitzten Fuchsgesicht auf der Tür und der Aufschrift: »LADY MARIAN – REINIGUNGSUNTERNEHMEN«. Ein untersetzter rotbärtiger Mann um die vierzig stieg aus. Weiß-rote Windjacke, Jeans, orangefarbene feste Stiefel, dunkle Wollmütze. |170| Nachdem er das Büro betreten und mit der Sekretärin gesprochen hatte, schien sich seine Laune schlagartig zu ändern. Er nahm seine Geldbörse heraus und gab der älteren Frau einen Geldschein. Anschließend wandte er sich wieder an die Sekretärin, scheinbar wollte er ihr etwas erklären. Dann verließ er überstürzt das Büro. Als er den Bürgersteig entlanghastete, schaute er sich immer wieder um. Wo war der Unbekannte, der nach ihm gefragt hatte? Essam und ich hatten uns hinter einem Kleinlaster versteckt, sodass er uns nicht sehen konnte. Er verschwand in der Bar, in der wir zuvor etwas getrunken hatten. Ich schickte Essam hinterher. Nach einigen Minuten kam er zurück und berichtete, dass der Mann telefoniert hatte.
»Er ist es, da gibt es keinen Zweifel. Geh in die Questura und frag nach Commissario Pertusiello. Erzähl ihm alles und sag ihm, wohin er seine Leute schicken soll.«
Ich gab ihm einen Hunderteuroschein, eine angemessene Belohnung für seine hervorragende Arbeit. Dennoch war er enttäuscht. Er wusste, dass er den spannendsten Teil des Falls verpassen würde. Die Action-Szenen, den Showdown und die Lösung, nach dem Muster amerikanischer Thriller, in denen zu guter Letzt Recht und Ordnung siegen. Aber wir waren nicht in einem Hollywoodfilm. Wir kauerten hinter einem alten Ford Transit, der vor einer Reinigungsfirma in Marassi parkte, einem Vorstadtviertel, in dem zweimal in der Woche Markttag war, wo die Hausfrauen zu günstigen Preisen Unterhosen und Socken für ihre ewig abgebrannten Ehemänner kauften, die eines gemeinsam hatten: ihre Liebe zum CFC Genua.
Ich wollte Essam nicht in Gefahr bringen. Randazzo hatte bestimmt mit den Männern der Organisation telefoniert, die Sache wurde jetzt brenzlig.
Der Mann verließ die Bar und eilte zu seinem Kombi, dabei sah er sich immer wieder um. Ganz offensichtlich |171| wollte er sich vergewissern, dass ihm auch niemand folgte. Die Autoschlüssel hatte er schon in der Hand. Der Wagen parkte auf der anderen Straßenseite, halb auf dem Bürgersteig.
Ich verließ mein Versteck und schlängelte mich zwischen den Autos hindurch, die sich im Schritttempo vorwärtsquälten. Dann stand ich hinter ihm.
Ich riss mir die Jacke auf und zog die Beretta aus dem Halfter. Unmissverständlich
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