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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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Schwein gefoltert und vergewaltigt worden. Dich kostet es doch nur ein Fingerschnippen, mich zu ersetzen. Eine willige junge Frau findet sich immer in einem besetzten hungrigen Land.« Sie holte tief Luft und sah, wie er in den Taschen seiner Uniform nach Zigaretten kramte. »Aber jetzt ist es anders, was? Jetzt geht es hier um dein Kind, das ändert die Lage. Jetzt muss ich verschwinden.«
    Er schaute sie nicht einmal an. Er klopfte eine Zigarette aus dem Päckchen, nahm das goldene Feuerzeug und zündete sie an. Vielleicht das Geschenk seiner Frau. »Stell dich nicht so blöd«, entgegnete er ruhig. »Wenn dieser Polizist dich zum Sprechen gebracht hätte, wäre ich der Erste gewesen, den sie erschossen hätten.«
    »Quatsch«, wischte sie seinen Einwand weg. »Ihr seid doch die Herren. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Maestri vor dir gekrochen ist.«
    »Du hast gar nichts gesehen«, gab er barsch zurück. Für einen kurzen Augenblick war er wieder der befehlsgewohnte Soldat in Uniform. »Maestri hat versucht, mich beim Kommando in schlechtes Licht zu rücken. Hätte sich nicht ein hoher S S-Offizier aus Köln für mich eingesetzt, wäre ich längst wegen Hochverrats angeklagt und standrechtlich erschossen worden. Aber nicht einmal seine Intervention hatte genügt. Weißt du, was mich schlussendlich gerettet hat?«
    »Nein.«
    »Meine Frau und meine Kinder, ihr Tod ist mein Schutzbrief. Für die Kommandantur bin ich ein Held.«
    Tilde musterte ihn. Er wirkte wie eine Raubkatze. Auf den ersten Blick wirkte er ruhig und friedlich, aber bei einer einzigen falschen Bewegung könnte er sie packen und zerfleischen. Ihr wurde klar, dass ihre Offenbarung ein Fehler und das Eingeständnis ihrer Schwäche war.
    »Hast du schon mit jemandem darüber gesprochen?«, |181| fragte er und drückte seine Zigarette im Kristallaschenbecher auf dem Nachtschränkchen aus.
    »Nein, und ich will auch nicht, dass meine Leute etwas davon erfahren.«
    »Deine Leute?« Ein scheinheiliges Lächeln trat auf seine Lippen, die Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
    »Meine Familie und meine Freunde.«
    »Sie werden nichts erfahren. Wir werden das Gerücht in Umlauf bringen, du seist deportiert worden.«
    Ein eisiger Schauder lief ihr über den Rücken.
    »Deportiert? Wohin?«
    »Nach Köln. Dort lebt meine Schwester. Sie wird sich um dich kümmern, bis das Kind auf die Welt kommt.«
    »Nach Deutschland? Auf keinen Fall. Dann treibe ich lieber ab.« Hinter ihrer aufgesetzten Dreistigkeit lauerte die Angst, das war ihrer Stimme deutlich anzumerken.
    »Wenn dieser Scheißkrieg erst mal vorbei ist, wirst du in Sicherheit sein. Sie werden sich nicht einmischen.«
    »Was heißt ›sie‹?«
    »Meine Schwester und ihr Mann. Sie haben keine Kinder.«
    »Ich werde mein Land nicht verlassen!«, brach es aus Tilde heraus, in ihren Augen standen Tränen.
    »Wohin willst du denn sonst gehen?«
    »Ich will in Italien bleiben, irgendwo, an einem sicheren Ort.«
    Hessen wandte den Blick ab und dachte nach. Tildes Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Erinnerungen an einen Tag im Oktober kamen wieder hoch. In der Nähe von Borzoli war ihr einer der Horrorzüge auf dem Weg in die Arbeitslager nach Deutschland begegnet. Das Signal stand auf Rot und der Zug hielt an. Die Türen waren verplombt, aber Tilde konnte einen Blick durch einen Spalt zwischen den Holzbrettern eines Waggons werfen. Eine |182| Reihe leerer Augen starrte ihr aus dem Dunkel der Hölle entgegen. Blicke ohne Hoffnung. Nur ein paar Sekunden, dann rollte der endlos lange Zug weiter. Es war nur eine Momentaufnahme gewesen. Aber sie konnte sich vorstellen, wie es im Inneren der Waggons aussah. Durstige, hungrige, mit Urin und Kot beschmierte Männer und Frauen, auf engstem Raum zusammengepfercht, genau wie Vieh auf dem Weg ins Schlachthaus. Dieses Bild zog an ihren Augen vorbei wie ein Film. Allerdings war dieser Film so ganz anders als die Hollywoodfilme, die man im Splendor-Kino zeigte und die sie und ihre Freundinnen früher zum Träumen gebracht hatten.
    Doch die Realität schob die Erinnerung beiseite. Sie musste dringend eine Zuflucht für sich und ihr Kind finden. Dass Hessen so viel an diesem Kind liegen würde, überraschte sie. Er wollte sogar seine Schwester bitten, ihr beizustehen. Einer Feindin, einer Helfershelferin der Partisanen.
    »Ich werde Greta bitten, nach Italien zu kommen. Sie wird mir diesen Wunsch bestimmt nicht abschlagen.« Hessen schien erleichtert, einen

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