Bitterfotze
was in ihrer Macht steht, um gegen die Ungerechtigkeiten, die Apartheid des Patriarchats zu kämpfen? Und wenn sie meinen, dass die Macht und Jahrtausende patriarchaler Unterdrückung nicht von ihnen verändert werden können, warum kämpfen sie dann nicht wenigstens in ihrer privaten Liebesbeziehung gegen die Ungerechtigkeiten?
Macht korrumpiert, sagt man. Gilt das auch für die Gruppe der Männer?
Dass die Gesellschaft und die Kultur die Zweisamkeit auf alle möglichen, lächerlichen Weisen sanktionieren, ja, das ist auf jeden Fall eine Erklärung für diese unlogische und für Frauen nachteilige Konstruktion. Alle, die Kinder haben, wissen, dass zwei Menschen zu wenig sind, um dem kleinen neuen Leben die idealen Bedingungen in Bezug auf Fürsorge und Liebe zu geben. Drei oder vier wären angemessen. Da kann einer immer beim Kind sein, während die anderen schlafen, sich lieben, kochen, einkaufen, arbeiten gehen. Wenn man also von der Unterdrückung absieht, die Homosexuelle oft noch erleben, so glaube ich, dass die sogenannten Regenbogenfamilien, in denen ein lesbisches und ein schwules Paar sich zusammentun und alle vier Eltern werden, es unglaublich viel besser haben als wir armen Heteroteufel, die sich abstrampeln.
Am Nachmittag machte ich einen Spaziergang zum Strand. Ich stand da und holte tief Luft und spürte, dass ich glücklich war. Bis zwei Typen auf einer Vespa angebraust kamen, zwanzig Meter entfernt anhielten, wendeten und zwei Meter neben mir parkten. Ich blieb stehen und tat so, als sei nichts. Sagte mir, ich genieße weiter. Das klappte ungefähr dreißig Sekunden. Da waren sie so nah an mich herangekommen, dass ich sie nicht mehr ignorieren konnte. Ich gab auf und ging weiter. Sie schrien mir etwas auf Spanisch hinterher, aber ich ging einfach weiter.
Am Abend wanderte ich in den Nachbarort Santa Ursula, um dort zu Abend zu essen. Das sind die Gelegenheiten, wo man die Grenzen des Alleinreisens erfährt. In der kleinen Pizzeria, die nicht sehr gefährlich aussah, saß ich an einem und drei Männer an einem anderen Tisch.
Als ich mein Glas erhob, um zu trinken, sah ich aus dem Augenwinkel, wie einer der jüngeren Männer ebenfalls sein Glas erhob, um mir zuzuprosten. Ich wollte nicht unhöflich sein, deshalb prostete ich ihm leicht zu und lächelte, wie ich fand, ausgesprochen kühl. Das hätte ich nicht tun sollen. Er fing sofort an wie wild mit den anderen Männern auf Spanisch zu reden und lachte so ein Hä-hä-Lachen. Ich verstand nur zu gut, was das bedeutete. Verdammt.
Ich erinnerte mich plötzlich an den Schock, den ich bekam, als ich als Sechzehnjährige mit drei Freundinnen per Interrail unterwegs gewesen war und wir plötzlich feststellten, dass zwei Meter von unserem Tisch entfernt zwei Jünglinge standen und onanierten. Und uns dabei anstarrten. Ich habe meine Zweifel, ob alleinreisende Männer jemals so etwas erleben, weder Frauen, die onanieren, noch Hä-hä-Lachen an ihrem Tisch. Ich habe meine Zweifel, ob Männer verstehen können, wie unangenehm und beängstigend es ist, sich zu so etwas verhalten zu müssen.
Ich frage mich, wie diese latente Bedrohung alle Frauen beeinflusst, im tiefsten Innern. Ich nehme an, wenn das einmal jemand erforschen würde, dann käme Erstaunliches heraus.
Ich nahm sicherheitshalber ein Taxi zurück ins Hotel. Wieder in meinem Zimmer merkte ich, wie sehr ich fror. Ich ließ ein heißes Bad ein und hörte meine geliebte Nina Simone und wurde bis in die Knochen warm. So schlief ich dann ein, wohlig, warm und geborgen.
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800 GRAD
Heute regnet es auf Teneriffa, und so grau wie draußen ist es auch beim Frühstück. Dass ich vergessen habe, meine Linsen einzusetzen, macht alles noch schlimmer. Ein grauer Nebel. Ich kann nur eine deutsche Familie am Nebentisch beobachten.
Die Frau sieht schrecklich traurig aus. Nicht so emotionslos-traurig wie viele Frauen hier, sondern richtig rotgeweint-traurig. Und es wirkt ziemlich frisch. Der Mann ist doppelt so groß wie sie und kaut an seinem Schinkenbrot. Sie haben einen vielleicht achtjährigen Sohn, der versucht, sie aufzuheitern, indem er ihnen deutsche Witze erzählt, die ich nicht verstehe, aber die Eltern lächeln schief, um ihn nicht noch mehr zu beunruhigen. Aber man sieht, dass auch er traurig ist.
Ihre Traurigkeit ist ansteckend, und ich bin plötzlich auch ganz angsterfüllt. Ich versuche, mich auf mein Frühstücksbuch zu konzentrieren, Subcomandante Marcos’ gesammelte Schriften.
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