Bittersuess
schließe die Türe, ich will deren Aufmerksamkeit nun wirklich nicht auf mich ziehen.
„Wir machen es wie gestern, okay? Ich werde ab und zu nachfragen“, höre ich diese vertraute Stimme vor der Türe rufen.
„Ja“, antworte ich nur.
Ich putze mir die Zähne und benutze die Toilette, alles geht irgendwie nur im Zeitlupentempo, dann genieße ich die warme Dusche. Es ist der einzige Ort, an dem ich mich für einen Augenblick so etwas wie wohl fühle. Ich weiß, dass er draußen vor der Türe steht und aufpasst, und ich weiß, dass ich ihm immerhin so weit vertrauen kann, dass er keinen der anderen hier reinlässt.
Ich ziehe meine Unterwäsche an und wasche die Männershorts aus. Dann schlüpfe ich wieder in die Anziehsachen und gehe hinaus. Er wartet dort auf mich und wieder erhasche ich einen Blick in seine Augen. Ich weiß nicht, wie lange dieser Moment dauert, aber auch er unterbricht den Blickkontakt nicht. Wir stehen einfach nur so da und schauen uns an. Es ist irgendwie komisch und ich kann es nicht beschreiben, warum das so ist.
Doch dann räuspert er sich und schaut auf den Boden. „Geh wieder zurück, okay?“, bittet er mich und seine Stimme klingt jetzt etwas rau.
Ich befolge seine Bitte, natürlich befolge ich sie. Was soll ich auch sonst tun?
Sicherheitshalber stütze ich mich mit der Hand an der Wand ab und hoffe innerlich, dass er meine unsicheren Bewegungen nicht bemerkt.
„Ich möchte jetzt nach der Wunde sehen“, sagt er dann und wir setzen uns aufs Bett.
Er kommt mir mit seinem Gesicht sehr nahe, durch die Maske hindurch kann ich seinen warmen Atem spüren. Dann greift er hinter sich und öffnet einen Rucksack. Er holt Handschuhe heraus und zieht sie sich über, vorsichtig betastet er die Klammern über meinem Auge.
„Es heilt gut – und es scheint sich nicht zu entzünden. Mit etwas Glück wird man die Narben kaum sehen“, er klingt zufrieden.
„Woher hast du Ahnung von so etwas?“, mir rutscht diese Frage so raus, aber mehr als Schweigen kann er ja nicht.
Er sieht mir wieder in die Augen, ich kann diesen Blick nicht deuten.
„Du weißt, dass es besser ist, wenn du so wenig Informationen wie möglich über mich hast“, sagt er dann leise. Es klingt nicht unfreundlich, eher… fast bedauernd irgendwie.
„Aber du weißt soviel über mich, das ist nicht fair“, maule ich und mir ist natürlich klar, dass das ein total bescheuertes Argument ist.
Er lacht jetzt leise auf. „Nein Stell a, das ist nicht fair. Aber so ist nun mal die Situation.“
Immer noch ist er mir nah, doch mich stört das nicht. Ich ertappe mich sogar dabei, dass ich mir wünsche, dass er noch etwas bleibt. Das Alleinsein hier ist nicht gerade sehr angenehm.
Vielleicht kann ich ihn ja in ein Gespräch verwickeln?
„Wie lange muss ich noch bleiben?“, frage ich ihn.
Er schüttelt den Kopf. „Das kann ich nicht beantworten. Tut mir leid.“
„ Haben meine Eltern denn schon gezahlt?“, bohre ich weiter, er senkt den Blick.
„Auch das kann ich dir nicht beantworten, Stella.“
Jetzt greife ich nach seiner Hand, ich habe richtig Angst, dass er das als eine Art Angriff auf sich sieht, aber er wirkt nicht wütend. Dafür schaut er mich wieder an.
„Ich… ich… hab Angst“, flüstere ich und merke, dass meine Stimme ganz heiser ist. Ich weiß nicht, warum ich ihm das sage, ob das klug ist oder nicht. Aber ich bin eh so ein Angsthase, dass man mir das wahrscheinlich sowieso ansieht. Das wird jetzt also keine Offenbarung für ihn gewesen sein.
Er nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände, seine Daumen streicheln ganz leicht, nein, eher zärtlich, über meine Haut.
„Ich weiß, dass das unglaublich schwer ist für dich, Stella. Und ich verspreche dir, dass ich versuchen werde, dich zu schützen, sofern es in meiner Macht steht“, sagt er ernst und ich bekomme eine Gänsehaut, als ich in seine Augen schaue. Er sieht mich traurig an.
Mir steigen wieder Tränen in die Augen, ich kann es nicht verhindern.
„Bitte nicht weinen, bitte nicht“, murmelt er und zieht mich in seine Arme. Aus einem Reflex heraus klammere ich mich an ihn. Es ist falsch, ich weiß das, aber trotzdem fühlt es sich so richtig an. Aber was ist schon falsch, was richtig, in so einer Situation? Wie verhält man sich denn als entführte Person korrekt?
Ich weiß es nicht, ich hab nie darüber etwas gelesen. Alles was ich weiß ist, dass ich mich in diesem Augenblick seltsam geborgen und beschützt fühle.
Er strahlt
Weitere Kostenlose Bücher