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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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von der Gelassenheit und Einkehr geblieben, die ich in meiner Erinnerung mit Eyüp verbinde. Alles ist ganz auf das »heilige« Geschäft ausgerichtet.
    Eine Seilbahn trägt uns von dem Berg der Toten wieder hinunter zum Wasser des Lebens, dem Goldenen Horn. Ein Fischer bringt uns im Schein der untergehenden Sonne zurück zur Galatabrücke, die Orhan Veli (1914–1950), einer der großen Lyriker der noch jungen türkischen Republik, unnachahmlich besungen hat. 33
› Hinweis
    Galatabrücke
    Ich stelle mich auf die Brücke
Und sehe euch vergnügt zu.
Manch einer von euch zieht langsam die Ruder;
Manch einer holt Muscheln von den Pontons;
Manch einer steht am Steuerruder des Schleppkahns;
Manch einer ist Matrose am Tau;
Manch einer ist Vogel, fliegt poetisch;
Manch einer ist Fisch, glitzernd;
Manch einer Schiff, manch einer Boje;
Manch einer Wolke am Himmel;
Manch einer ist Dampfschiff, das den Schornstein umknickt
Und im Nu unter der Brücke hindurch passiert;
Manch einer ist Schiffssirene und tönt;
Manch einer ist Schiffsrauch und stöhnt;
Aber alle, alle …
Seid ihr in Sorge ums tägliche Brot.
Fröne ich allein der Muße unter euch allen?
Und wenn schon, einmal kommt vielleicht der Tag
Und ich mache ein Gedicht über euch, bekomme ein Paar Kurus
Werde dann auch satt.

Die Literatur entdeckt das Leben
    Das Gedicht zeugt von der »Leichtigkeit des Seins«, die in den Anfangsjahren der Republik viele Schriftsteller und Dichter erfasste. Es war die Zeit des großen Aufbruchs der türkischen Literatur, die Autoren schrieben wie befreit über das Leben der Menschen. Es herrschte ein ganz anderes Lebensgefühl in der Stadt, Gedichte schwirrten durch die Kaffeehäuser. Der Blick der Schriftsteller öffnete sich für die sozialen und politischen Probleme. Die Autorin Halide Edip trat für Frauenemanzipation ein und fand ein großes Publikum. Orhan Kemal, Sabahattin Ali oder Yasar Kemal, um nur einige Beispiele zu nennen, machten das Leben der Dörfer und Städte zum Thema ihrer realistischen Romane. 34
› Hinweis
    Die osmanische Oberschicht hatte das Türkische als Spracheder Literatur missachtet, für sie war es die Sprache der Bauern, tauglich bestenfalls für die Volkserzählungen eines Nasreddin Hodscha, für das Schattenspiel »Karagöz« oder die an den Lagerfeuern der Karawansereien erzählten Geschichten. Menschen kamen in ihren an persischen Vorbildern orientierten Lehrgedichten der »Diwan-Dichtung« kaum vor. Ebenso wenig gab es im Osmanischen Reich Bilder oder Skulpturen, in denen Menschen abgebildet wurden. Denn nach islamischer Lehre darf ein lebendes Wesen, sei es Tier oder Mensch, nicht auf einem Bild verewigt werden, weil alles Irdische vergänglich ist. Ewigkeit verkörpert ausschließlich Gott. Selbst der Prophet Mohammed ist nur Gottes Sprachrohr und hat kein Recht auf das eigene Bild.
    Bilderverbot
    In seinem Roman »Rot ist mein Name« erzählt der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk von diesem Bilderverbot. 1591 erteilt der Kalif seinen Buchmalern den Auftrag, für den venezianischen Dogen zehn Blätter zum islamischen Jahrtausend zu erstellen. Die Zunft der Buchmaler erachtet den Auftrag als Blasphemie; der Maler, der ihn ausführt, wird ermordet, der Mord gerechtfertigt: Der Maler habe »in dem letzten Bild bedenkenlos die Perspektive benutzt«, die Dinge seien »nicht nach ihrer Bedeutung in Allahs Verstand dargestellt, sondern wie sie unser Auge erfasst, also so, wie es die Franken machen« – eine »große Sünde«. Ferner habe er »unseren Padischah, den Kalifen des Islam, in der gleichen Größe wie einen Hund« abgebildet und auch noch das »Bild des Satans« auf »liebenswerte Art« gemalt. Die größte aller Verfehlungen aber sei, »das Bildnis unseres Padischahs riesengroß und mit allen Einzelheiten seiner Gesichtszüge wiederzugeben. Gleich den Götzenanbetern … Oder wie die ›Porträts‹, welche die Christen, die sich nicht von den Gewohnheiten der Götzenanbetung lösen konnten, an die Wände ihrer Kirchen malen und anbeten«.
    Erst mit den Reformen der Tanzimat-Zeit am Ende des 19. Jahrhunderts und den Neuerungen der Republik, die westliche Vorbilder ins Land trugen, wurden Romane geschrieben, in denen Heimatlosigkeit und Identitätssuche bestimmende Themen wurden. Jetzt trat der einzelne Mensch auf, das zwischen Tradition und Moderne, zwischen Altem und Neuem zerrissene Individuum. Orhan Pamuk hat in seinem großen Roman »Cevdet bey ve

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