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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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ogullari« (»Herr Cevdet und seine Söhne«, Istanbul 1982) diesen Zwiespalt am Beispiel einer Familie beschrieben, die sich äußerlich europäisch gibt, den Einzelnen aber aus den Verpflichtungen der Familie nicht entlassen will. Pamuks Protagonist Refik, der zwischen seinem Wunsch nach einem »Ich« und der Pflicht gegenüber dem »Wir« hin und her gerissen ist, lässt sich auf eine von seiner Mutter arrangierte Ehe ein, das junge Paar zieht im Dachboden der elterlichen Villa ein. Auch Refiks verheiratete Brüder wohnen in dem Haus. Der Vater ist gestorben, die Mutter führt das Haus und will Refiks 18-jährige Schwester möglichst bald verheiraten. Die Familie ist wohlhabend, die Brüder verwalten den väterlichen Nachlass, ein Lampengeschäft.
    Refik hat einen Freund, der – »um frei denken« zu können – nicht geheiratet hat. Refik hingegen ist gerade Vater geworden. Eigentlich möchte er gar nicht im Familiengeschäft arbeiten, viel lieber würde er sich als Schriftsteller ausprobieren. Pamuk beschreibt ein Gespräch zwischen Refik und seinem Freund Muhittib, der gerade ein Buch von Hölderlin in Refiks Bücherregal entdeckt hat: »So etwas liest du? Als ich Dichter werden wollte, habe ich mich an ihm versucht. Er hat mich kaltgelassen. Diese Europäer! Sie fühlen anders, sie stehen uns sehr fern, weißt du das nicht? Außerdem kann man nichts mit ihnen anfangen, sie bringen einen nur durcheinander.«
    Refik widerspricht, er will wissen, was die alten Griechen und die Renaissance bedeutet haben, das Licht der Vernunft kennen lernen, »um unsere Barbarei und den Despotismus in unserer Kultur besiegen zu können«.
    »Du bezeichnest uns als Barbaren? Meinst du auch mich damit, deinen Freund? Ganz schön kühn, mein Lieber. Schau mich an«, sagt sein Freund, »ich bin Türke, ein türkischer Nationalist. Und stolz darauf. Was sagst du nun?«
    »Ich suche nur …«, stammelt Refik.

Stadt der zwei Welten
    Der Bosporus hat zwei gegenläufige Strömungen. Die eine bringt Wasser vom Schwarzen Meer nach Westen ins Marmarameer und eine Gegenströmung salzigeres Wasser Richtung Norden. Mal ist die Drift stärker, mal verändert der Wind die Richtung des Stroms – das macht, auch wegen der Tiefe der Wasserstraße, die Durchfahrt der Schiffe zu einer gefährlichen Angelegenheit.
    Die Strömungsverhältnisse scheinen mir fast wie eine Allegorie für den heutigen Zustand der Stadt. An der Oberfläche die aufgeregten Wellen, die Moden und die silbrig funkelnden Spiegelungen der Sonne des »oberflächlichen« Westens, der Anschein des Modernen, während gleichzeitig ein unablässiger Strom des »schwarzen Wassers« durch die Stadt fließt und sie zunehmend bestimmt. Die Flut der Binnenmigration mit den aus den Tiefen der Vergangenheit verhafteten Traditionen treffen hier auf die glitzernde Welt des schönen Scheins. Treffen diese Strömungen an der Oberfläche aufeinander, entsteht unberechenbares »Kabbelwasser«. Geht man in Istanbul von Beyoglu über die Galatabrücke nach Eminönü, spürt man dies.
    Im »Leyla«, einem In-Café in Cihangir, dem Viertel von Beyoglu, das Orhan Pamuk so gern beschreibt, trinke ich einen Caffè Latte. Hier ist niemand verschleiert, keine Frau trägt Kopftuch. Die Gäste unterhalten sich über ihre Einkäufe, sprechen selbstverständlich Englisch, Italienisch oder Deutsch. Cihangir liegt an einem Bosporushügel und ist für Istanbul so etwas wie »Mitte« für Berlin – Musikkneipen, Galerien, internationales Flair. Viele junge Leute, »Intels«, Intellektuelle, wie man hier sagt, Menschen also, die in Zeitungen, Instituten und Agenturen arbeiten und hier wohnen.
    In meinem Hotel gibt es kurzzeitig kein Wasser, jemand hat vergessen, den Tank nachzufüllen. Es herrscht große Aufregung unter den Gästen und dem Personal. Eines der großen Probleme der Stadt ist der Wasserverbrauch: Jeder der etwa 15 Millionen Einwohner verbraucht pro Tag etwa 200 Liter Trinkwasser. Das Rohrleitungssystem ist völlig überlastet und ohnehin längst marode. Ein Viertel der eingespeisten Wassermenge kommt nie in den Häusern an, es versickert irgendwo im Istanbuler Untergrund.
    Am Nachmittag laufe ich von Beyoglu, dem Genueser Viertel, über die Galatabrücke, »die Brücke zum Goldenen Horn«, hinunter nach Eminönü, dem historischen Teil der Stadt. Es ist, als überquere man hier, wo man doch nur von Europa nach Europa geht, tatsächlich die Brücke zwischen Orient und Okzident. Galata, das sind die

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