Bittersüße Nacht - McLeod, S: Bittersüße Nacht - The Bitter Seed of Magic
jemand einen Sack rosa Mehl über ihm ausgeschüttet. »Constable Martin hat sich eine halbe Stunde lang mit dem Raven-Master und sechs seiner Raben unterhalten. Sie bestreiten, auch nur das Geringste über die verschwundenen Faelinge zu wissen, und es interessiere sie auch gar nicht.« Er führte mich durch das Eingangstor in den Memorial Garden. »Im Moment sitzt sie gerade mit Victoria Harrier und deren Schwiegertochter Ana bei Tee und Kuchen in einem Café am Trafalgar Square und erörtert Freud und Leid einer großen Kinderschar.«
»Kacke. Dann hat Victoria Harrier also gemerkt, dass sie’s mit einer falschen Genny zu tun hat.«
»Oder sie ist so, wie sie zu sein scheint, und alles war nur ein seltsamer Zufall.«
»Das kann nicht sein«, widersprach ich, »außer dieser Vamp hat sie derart im Griff, dass sie überhaupt nicht mehr weiß, was sie tut.«
»Möglich wär’s, Genny. Aber es muss schon mehr passieren, um einen Durchsuchungsbeschluss zu kriegen. Mir sind leider die Hände gebunden.«
Was bedeutete, dass nun alles von meiner Rolle in unserem Plan abhing. »Tja, dann liegt’s jetzt wohl an mir«, sagte ich entschlossen.
»Wenn Victoria Harrier und Ana ihr Gespräch mit Constable Martin beendet haben und sich bis dahin nichts ergeben hat«, fuhr Hugh fort, »werden wir sie zumindest zu weiteren Verhören mit aufs Revier nehmen. Anas Mann in New York haben wir bereits abgeholt, und Dr. Craig wird derzeit bei Old Scotland Yard befragt.«
»Er hat wohl noch nichts Interessantes verraten, was?«
»Das bleibt abzuwarten, Genny. Aber bis jetzt scheint er genau das zu sein, was er vorgibt: ein viel beschäftigter Arzt, der vollkommen besessen von seiner Arbeit ist und mehr Zeit damit verbringt, als der Tag Stunden hat. Und solange sich das nicht ändert, können wir nichts machen.«
»Und der alte Donn?«, fragte ich, ohne viel Hoffnung. Mussten denn all unsere Spuren ins Leere laufen? »Hast du schon herausgefunden, ob er möglicherweise noch am Leben ist?«
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44. K apitel
O h, der ist definitiv tot, Genny«, sagte Hugh und zertrampelte damit auch meine letzte Hoffnung. »Lady Meriel hat’s mir höchstpersönlich bestätigt. Er wurde zusammen mit zwei anderen, Hallbjörn, dem Weißen, und Arthur Ursa, nach dem Vorfall mit der Sidhe exekutiert.«
Exekutiert! Na, das klang schon reichlich tot, aber: »Sylvia hat was von einem Grab erwähnt?«
»Das hat sie wohl nicht wörtlich gemeint. Den dreien wurden die Köpfe abgeschlagen, und ihre Asche wurde, mit Salz vermischt, über dem Tower Hill verstreut. Sie waren zuvor mit einem Zauber belegt worden, der verhinderte, dass sie schwanden , bevor die Hinrichtung vollzogen war.« Hughs rötliches Gesicht wurde ganz blass. »Lady Meriel hatte die Güte, es mir genauestens zu schildern.« Er schüttelte sich.
Ich tätschelte sein Hand. Sie fühlte sich sandig und trocken an, ein sicheres Anzeichen dafür, dass ihn die Geschichte aus der Fassung gebracht hatte. Aber Hugh hatte nun mal ein besonders weiches Herz. Kein Wunder, dass in den Zeitungsartikeln der Bibliothekarin von einem »Abschlachten« die Rede gewesen war. Das Ganze klang wirklich ein bisschen barbarisch, aber ich persönlich fand, dass sie es verdient hatten.
»Tja, also auch hier tote Hose«, bemerkte ich spöttisch. Hugh stieß ein missbilligendes Brummen aus, und ich tätschelte ihn erneut. »Sorry. Konnte einfach nicht widerstehen.«
»Hmpf.« Hugh bedachte mich mit einem seiner patentierten Blicke , bei denen einem die Knie zittern sollten. Ich grinste. Das letzte Mal, als mich ein solcher Blick von ihm einschüchtern konnte, war, als ich sechzehn wurde. Hugh seufzte und deutete nach hinten in den Garten. »Die Sonne geht bald unter, du musst dich bereit machen. Ricou hat alles organisiert. Ein toller Kerl.« Er nickte lobend, dann musterte er mich besorgt. »Glaubst du wirklich, dass es eine gute Idee ist, ausgerechnet die Morrígan um Hilfe zu bitten, Genny? Mit Göttinnen ist nicht zu spaßen.«
»Sie traktiert mich schon die ganze Zeit mit Hinweisen und lässt mich von ihrem Oberraben beobachten. Ich bin mir also ziemlich sicher, dass sie mich in den Tower schicken will.« Natürlich würde sie es mir jetzt schwermachen, was ich schon daraus schloss, dass von ihrem Oberraben auf einmal keine einzige Feder mehr zu sehen war. Jetzt, da ich von selbst beschlossen hatte, mich in die Zwischenwelt des Towers einzuschleichen, würde die Göttin mich dazu zwingen, sie um Einlass
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