Bittersüße Nacht - McLeod, S: Bittersüße Nacht - The Bitter Seed of Magic
Augen heraus angeschaut hatte. War Sie das gewesen – Danu, die Urmutter? Und warum befanden wir uns dann im Disney-Himmel, mit seinem christlichen Klischee-Gott, wenn man sie tatsächlich nach der Mutter benannt hatte? Irgendwie erschien mir das weder taktvoll noch klug. Ich an Engels Stelle hätte mich davor gehütet, eine allmächtige Göttin zu verärgern, die jederzeit in persona erscheinen konnte, wenn man mich beim Namen rief. Andererseits, wenn sich Danu bei mir festgesetzt hätte, dann würde ich sie vielleicht auch nicht mehr als ein höheres – und weitaus furchterregenderes – Wesen betrachten. Nun, das erklärte so einiges: Wenn ich zwischen Danu und Grianne feststecken würde, würde ich auch dem schreienden Irrsinn anheimfallen.
»Clíona hat ihr den neuen Namen Rhiannon gegeben, aber darauf hört sie schon seit Jahren nicht mehr«, fuhr Grianne mit einem tiefen Seufzer fort. »Jetzt hört sie nur noch auf die Namen, die sie sich selbst gibt. Seit du sie zu uns zurückgeschickt hast, nennt sie sich Engel. Das wäre an sich kein Problem, wenn sie nur nicht auf diesen Flügeln bestehen würde. Zum Glück hat sie es bis jetzt noch nicht geschafft, damit zu fliegen. Wir können nur hoffen, dass sich diese Phase legt, bevor ihr das gelingt. Es ist auch ohne das schwierig genug, sie im Auge zu behalten.«
Ich verscheuchte eine lästige Wolke, die vor meinem Gesicht herumschwebte. »Also, wer ist sie nun?«
»Clíonas jüngste Tochter.«
Na, kein Wunder, dass Clíona so verzweifelt nach ihr gesucht hatte. Die Sicherheit ihrer jüngsten Tochter lag ihr offensichtlich mehr am Herzen, als mich mit meinem abscheulichen Vampirblut aus der Welt zu schaffen. Ich kam zu dem Schluss, dass mir diese Information vielleicht noch einmal nützlich sein könnte. Vielleicht, um Clíona zu überreden, ihre Todesdrohung im Fall einer Schwangerschaft meinerseits zurückzunehmen (äußerst unwahrscheinlich) oder ihr freundliches Asylangebot abzulehnen (äußerst wahrscheinlich) …
Grianne stützte ihr Kinn in die Hände. »Seit du sie gerettet hast, hat sie dich nicht mehr aus den Augen gelassen.«
Ich schnaubte. »Bitte richte Clíona aus, dass das Ausspionieren von Privatpersonen strafbar ist.« Und beängstigend.
»Das ist nicht Clíonas Entscheidung. Engel beobachtet dich, weil sie es will. Sie hat dein Bildnis in jedem Spiegel, in jeder Pfütze, in jeder silbernen Oberfläche am Hofe beschworen. Manchmal verbringt sie ganze Nächte damit, dir beim Schlafen zuzusehen.«
»Ach ja? Spioniert mir jetzt also der ganze Hofstaat nach?«
»Das können sie, wenn sie wollen.«
Na toll. Ich war der Star in meiner ganz persönlichen Big Brother/Truman Show. Jetzt konnte ich selig sterben.
»Aber die meisten finden dich sehr, sehr langweilig«, fuhr Grianne mürrisch fort. »Du gehst zur Arbeit, du isst, du schläfst, du liest. Du scheinst ein höchst ereignisloses Leben zu führen.«
»Tja, dann lasst es doch, wenn ich so ein Langweiler bin«, entgegnete ich gereizt. »Meinem Ego tut das nichts.«
»Nun, das heißt bis heute Vormittag.« Grianne kräuselte die Lippen, ob verächtlich oder belustigt, war schwer zu sagen, bei Grianne wusste man nie.
Ich verzog das Gesicht. »Ja, ja, nichts geht über einen guten Krimi, um die Zuschauerzahlen hochschnellen zu lassen.« Auf meine Jeans fiel ein Blutstropfen. »So, genug geschwatzt. Warum bist du hier, Grianne? Ihr habt ja wohl mitbekommen, dass dieses arme Rabenmädchen ermordet worden ist, also komm bitte auf den Punkt oder schick mich einfach wieder zurück, ja?«
»Du hast unsere Gespräche früher immer gemocht«, sagte Grianne in einem überraschend sehnsüchtigen Ton, den Blick aber immer noch unverwandt auf Engel geheftet. Zuhören war nicht ihre Stärke.
»Wenn du mit ›Gespräche‹ ›Predigten‹ meinst – alles über die Fae, bis zum Erbrechen – und mit ›gemocht‹ ›erduldet‹, dann ja, es stimmt. Also, was hast du mir zu sagen, Grianne?«
»Nun, du musst wissen, dass Clíona bereut, was sie mit dem Droch Guidhe angerichtet hat. Sie hat an die Urmutter appelliert, uns einen Ausweg zu zeigen. Die Antwort unserer Mutter lautete: ein Kind für ein Kind. Engel ist dieses Kind. Sie wurde geboren, um den Fluch zu brechen.«
Wow. Moment mal. Ich starrte sie fassungslos an, wusste nicht, was ich sagen sollte. Schließlich stieß ich die wichtigste Frage hervor: »Und warum ist der Fluch dann nicht gebrochen worden?«
»Unsere Mutter hat keine besonderen
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