Bittersüße Nacht - McLeod, S: Bittersüße Nacht - The Bitter Seed of Magic
vor niemandem kuschen, nicht mal vor dem Vampir, vor dem alle anderen Vamps sich fangzähneklappernd verkrochen. Das machte ihn stolz und mich ebenfalls. Ich schwor mir innerlich, gut auf ihn aufzupassen. Schließlich wollte ich nicht, dass ihn das den Kopf kostete wie den echten William Wallace.
Aber als ich das nächste Mal nach Darius schaute, das war kurz nach Weihnachten, standen die Dinge nicht mehr so gut. Die Magie, die der Zauberer benutzt hatte, um Darius’ Vampirkörper auch ohne das Blut seines Ursprungsvaters (in diesem Fall -mutter) am Leben zu erhalten, hatte sich erschöpft. Als nur sechs Monate alter Vampir brauchte Darius mehr als menschliches Blut, um am Leben zu bleiben. Infolgedessen war er in einen Blutrausch verfallen. Glücklicherweise – oder auch nicht, je nachdem, wie man es betrachtete – hatten ihn die Motten (wie man die Mädchen nennt, die sich mit Vampiren prostituieren), bei denen er lebte, rechtzeitig in Ketten gelegt, bevor er jemanden umbringen konnte. Da er keine unmittelbare Gefahr für Menschen darstellte, hätten sich die anderen Vamps strafbar gemacht, wenn sie versucht hätten, ihm seine Gabe wieder zu nehmen – mit anderen Worten, ihn endgültig zu töten. Aber da er andererseits auch keinen Herrn hatte, der ihn mit seinem Blut versorgen konnte – und die Motten keinen für ihn fanden –, blieb ihm nur die Aussicht auf einen langen, qualvollen Tod.
Eine Blutspende von mir später, und Darius war fast wieder der Alte gewesen. Wie sich herausstellt, ist mein Blut fast ebenso wirkungsvoll wie das eines reifen Vampirs. Nun ist Darius also mein Schoßhündchen, mein Blutsklave. Meine Blutspenden erhalten ihm seine Gesundheit, daher also die drei Blutbeutel, die in meinem Rucksack herumschwappten. Die Ironie des Ganzen entging mir keineswegs: Seit elf Jahren versuchte ich, mit allen Mitteln zu verhindern, zur Blutsklavin eines Vampirs zu werden und mich aufgrund meiner 3V-Erkrankung von einem der Blutsauger abhängig zu machen. Ich war zwar jetzt keine Sklavin, aber ich war dennoch durch mein Blut an einen Vampir gebunden. Diese Situation gefiel mir nicht, und ich hatte vor, sie zu ändern, sobald sich ein anderer Ausweg bot. Den ich bis jetzt leider noch nicht gefunden hatte.
Und auch nicht finden würde, wenn ich weiter nur vor dem Club auf und ab lief, anstatt reinzugehen.
Ich schalt mich einen Feigling und befahl mir, zum Eingang zurückzugehen.
Der Coffin Club war der einzige Ort, an dem die neugierige Öffentlichkeit einen Blick auf Vampire in ihrer »Todesstarre« werfen konnte. Sie lagen dort schamlos in Glassärgen aufgebahrt, für jedermann sichtbar (der das Eintrittsgeld bezahlte). Wer immer der Vamp war, der sich das hatte einfallen lassen, musste einen abartigen Sinn für Humor haben – Vampire schlafen nämlich nie in Särgen, ob aus Glas oder einem sonstigen Material, all das war nur ein Mythos. In den Achtzigerjahren haben sie buchstäblich Blut und Dollars geschwitzt, um sich ihre »Menschenrechte« zu erstreiten. Sie engagierten die gerissensten Anwälte, denen es tatsächlich gelang, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Vampire tagsüber nicht wirklich tot sind, sondern nur eine Art lichtinduzierten Winterschlaf halten, sobald die Sonne aufgeht.
Aber dank des Revivals der klassischen Vampir-Horrorfilme à la Dracula ist der Sarg das neue Schwarz, wenn es um die Geld- und Blutmaschinerie der Vamps geht. Und wenn Vampire mal ein Thema gefunden haben, das ihnen gefällt, dann halten sie sich auch daran, komme, was wolle: Daher die sargförmige Eingangstür mit ihren typischen Chrom-Sarggriffen, die sargförmige rote Neonreklame darüber – und das war nur der Anfang. Drinnen im Club wurde das Dekorthema bis zum Erbrechen weitergeführt. Das Einzige, was nicht sargförmig war, war die Klingel, ein dicker weißer Diamant: der Coffin Club ist Eigentum des White Diamond Clans.
Der Blutfamilie meines Vaters.
Verständlich also, dass mir erst mal das Herz in die Hose gerutscht war, als Darius mir erzählte, wo er seit Neuestem arbeitete und wohnte. Ich hatte bei meiner ersten Blutvisite gute zehn Minuten gebraucht, bis ich genug Mut aufbrachte, um auf den dicken Diamanten zu drücken, obwohl ich bei Überprüfung der Club-Website kein einziges bekanntes Gesicht aus meiner Vergangenheit entdeckt hatte. Danach entschloss ich mich trotzdem, meine Blutbeutel nur noch am helllichten Tag abzugeben. Man soll ja schließlich nicht sein Schicksal
Weitere Kostenlose Bücher