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Bittersuesser Verrat

Bittersuesser Verrat

Titel: Bittersuesser Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Caine
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sehen, wohin sie fuhren - es hätte nichts geholfen; Michaels Auto hatte die Standardausrüstung für Vampire mit ultragetönten Scheiben. Mit menschlichen Augen konnte man Lichter nur als dunklen Schimmer wahrnehmen, wenn man durch sie hindurchblickte, deshalb konzentrierte sich Claire auf den nächsten Atemzug. Und auf den darauf folgenden.
    »Hey, Michael?«, hörte sie Eve sagen. »Beeil dich, ja?«
    »Ich hab schon die erlaubte Höchstgeschwindigkeit überschritten.«
    »Fahr schneller.«
    Die Wucht der Beschleunigung drückte Claire in ihren Sitz. Shane hielt sie in den Armen, aber das konnte sie nicht spüren. Sie hatte aufgehört zu zittern, was sich besser anfühlte, aber sie war auch sehr, sehr müde und konnte sich kaum wach halten. Das Zittern war wenigstens etwas gewesen, woran man sich festhalten konnte, doch jetzt gab es nur noch Kälte und Stille. Alles schien sich von ihr zu entfernen und sie zurückzulassen.
    »Hey!« Sie spürte etwas, einen heißen Blitz auf ihrer Haut. Sie schlug die Augen auf und sah Shanes Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Er sah ängstlich aus. Seine Hände lagen auf ihren Wangen, als würde er versuchen, Hitze in sie hineinzuzwingen. »Claire! Mach die Augen nicht zu. Bleib bei mir. Okay?«
    »Okay«, flüsterte sie. »Müde.«
    »Das sehe ich. Aber wag es nicht, mich zu verlassen, hörst du? Denk nicht einmal daran!« Er streichelte ihre Haut und ihr Haar mit Händen, die fast so sehr zitterten, wie sie es zuvor getan hatte. »Claire?«
    »Hier.«
    »Ich liebe dich.« Er sagte es leise, es war fast ein Flüstern, wie ein Geheimnis zwischen ihnen beiden, und sie fühlte so etwas wie Wärme durch ihre Brust wandern. »Hörst du mich?«
    Sie schaffte es zu nicken und glaubte zu lächeln.
    Michael brachte das Auto plötzlich und schlitternd zum Stehen. Er war aus dem Wagen gesprungen, noch bevor Claire erfasst hatte, dass sie an ihrem Ziel angekommen waren. »Hey!«, protestierte Eve und kletterte ebenfalls hinaus. Shane öffnete die hintere Tür und hob Claire heraus - oder vielmehr das Wäschebündel, denn so fühlte sich Claire, eingewickelt in ein halbes Dutzend Decken.
    Mondlicht fiel bläulich weiß auf Gras, Bäume und Grabsteine.
    Sie waren auf Morganvilles offiziellem Friedhof.
    »Verdammt«, keuchte Shane. »Nicht gerade meine Vorstellung von einer Partynacht, wisst ihr? Claire? Bist du noch bei uns?«
    »Ja«, sagte sie. Sie fühlte sich fast ein wenig besser, wusste aber nicht, warum. Natürlich fühlte sie sich nicht gut. Aber auch nicht mehr auf der Schwelle zum Tod.
    Ein Stückchen vor ihnen sah sie, dass sich Michael und Eve ihren Weg durch einen Irrgarten aus schiefen Grabsteinen, Kreuzen und Marmorstatuen bahnten. Auf einem Hügel stand ein großes weißes Mausoleum, aber sie gingen nicht in diese Richtung, sondern bogen stattdessen rechts ab.
    Claire glaubte zu wissen, wohin sie gingen. »Sam«, flüsterte sie. Shane holte scharf Luft, atmete aus und steuerte ebenfalls in diese Richtung.
    Es war schon Monate her, seit Sam Glass, Michaels Großvater, gestorben war... im Grunde hatte er sein Leben geopfert, um sie alle zu retten, vor allem aber Amelie. Soweit Claire wusste, war er der einzige Vampir, der auf dem Friedhof begraben wurde; es gab einen richtigen Gottesdienst, echte Trauergäste und er war vielleicht der einzige Vampir, den es jemals in Morganville gegeben hatte, der auf beiden Seiten von allen gemocht und respektiert wurde.
    Aber er wurde auch geliebt - von Amelie. Nach Vampirmaßstäben war die Beziehung zwischen Amelie und Sam eine wilde Romanze gewesen; er war in Morganville geboren und war noch nicht einmal hundert Jahre alt gewesen, als er starb, aber nach allem, was Claire gesehen hatte, war es eine intensive Liebesaffäre im alten Stil gewesen - und eine, der sie mehr als ein Mal versucht hatten zu entsagen.
    Sie fanden Amelie kniend vor seinem Grab.
    Aus der Ferne sah sie aus wie einer der Marmorengel - bleich, weiß gekleidet, bewegungslos. Aber ihr langes blassblondes Haar war offen, es fiel ihr in Wellen um das Gesicht und den Rücken hinunter, der eisige Wind riss daran und ließ es flattern wie eine Flagge.
    Sosehr Claire auch fror, Amelie sah aus, als wäre ihr noch viel kälter. In ihrer Miene lag keine Trauer. Da war nichts - einfach ... nichts. Sie schien die vier nicht zu sehen, als sie neben ihr stehen blieben; sie bewegte sich nicht, sprach nicht und reagierte auch sonst auf keine Weise.
    »Hey«, sagte Shane.

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