Bittersuesser Verrat
die Augen. Als er sie wieder öffnete, waren sie einfach nur menschlich und traurig.
Claire fragte sich, ob sie gerade miterlebt hatte, wie sie miteinander Schluss machten. Sie hoffte nicht.
Shane räusperte sich. »Du bist also einfach an einem der Orte aufgetaucht die Kim sonst besucht, oder? Lass uns darüber reden. Bitte.«
Michael ging hinüber zu dem Sessel, auf dem seine Gitarre lag. Er nahm sie in den Arm, wobei er immer noch Eve beobachtete. Nach ein paar Sekunden spielte er leise einige Akkorde. Es waren schmerzvolle Klänge, sanft und voller Gefühl. Claire beobachtete, wie sich Eves Schultern anspannten und bebten, bei dem Versuch, Tränen zu unterdrücken.
»Kim hat früher im KVVV gearbeitet«, sagte Michael. »Sie war dort Praktikantin, bevor es zumachte. Der Vampir sagte, sie hätte ihn in einer Kabine der alten Studios am Stadtrand beim Funkturm interviewt.«
Claire spürte unwillkürlich Aufregung in sich aufsteigen. »Das ist es. Das muss es einfach sein, findet ihr nicht? Du sagtest, sie haben zugemacht?«
»Ja, Amelie hat den Radiosender vor ein paar Jahren geschlossen, nachdem... es dort einen Vorfall gab«, erklärte Michael. »Der Stadtrat hat beschlossen, dass wir keine weitere Radiostation brauchen. Seitdem ist sie geschlossen.«
»Das müssen wir uns anschauen!« Claire sprang los, aber Shane packte sie an den Schultern und führte sie zu einem Sessel.
»Bleib cool. Nicht bei Nacht, sicher nicht. Das Letzte, was wir jetzt tun, ist, in einer Stadt voller Vampire in einem verlassenen Gebäude herumstöbern.«
»Aber was, wenn sie beschließt, ihre Zelte abzubrechen? Ihren Schaden begrenzt, ihre Schätze schnappt und versucht abzuhauen?«, sagte Eve. »Sie könnte umgebracht werden. Wir müssen sie warnen.«
»Sie warnen?« Claire schnappte nach Luft und wäre beinahe in hysterisches Gelächter ausgebrochen. »Eve, kapierst du das nicht? Sie hat unser Haus verwanzt. Sie hat uns beobachtet. Sie hat alles beobachtet, alle privaten Details...«
»Nein«, sagte Eve. »Nein, das würde sie nicht tun. Du irrst dich.«
»Ich habe Kameras in den Schlafzimmern gefunden!«
Eve öffnete den Mund, klappte ihn dann aber wieder zu. Claire hatte sie noch nie so am Boden zerstört gesehen. Sie ließ sich auf die Couch fallen und bedeckte ihr reispuderblasses Gesicht mit beiden Händen.
Shane starrte Claire mit entsetzter Miene an. »Welche Schlafzimmer?«
»Deines«, sagte sie leise. »Und Michaels.«
Eine Sekunde lang rührte sich Shane nicht, dann schnappte er sich den nächstbesten Gegenstand - eine DVD-Hülle - und schleuderte ihn mit aller Kraft durch den Raum, sodass er an der Wand eine Delle hinterließ. »Verdammter Mist«, murmelte er. »Diese kleine...«
Michaels Gesicht war vollkommen reglos geworden und er hatte aufgehört zu spielen. Er hielt die Gitarre, als hätte er sie vollkommen vergessen. »Sie hat uns aufgenommen, ihre eigene kleine Big-Brother-Show mit Vampiren.«
Eve sagte nichts. Claire konnte sich nicht einmal vorstellen, wie ihr zumute war, aber sie sah völlig unglücklich aus.
»Wir müssen gehen«, sagte Eve schließlich. »Wir müssen herausfinden, wo sie die Aufnahmen aufbewahrt, und sie löschen. Jedes kleinste bisschen. Das darf doch nicht wahr sein. Das kann sie einfach nicht machen.«
»Ich hoffe nur, sie hat es nicht bereits getan«, sagte Claire. »Sie bastelt das seit über einem Monat zusammen. Sie müsste inzwischen fast fertig sein. Wenn wir recht haben und sie hat eine Art Sponsor außerhalb der Stadt...«
»Dann müssen wir wirklich gehen. Jetzt. Heute Nacht.«
»Nein«, sagte Michael. »Nicht bei Nacht.«
»Sie wird ungestraft davonkommen!«
»Das ist ein Risiko, das wir auf uns nehmen müssen«, sagte Michael. »Shane hat recht. Wir stürzen jetzt nicht einfach in die Dunkelheit hinaus. Das muss bis morgen warten.« Dann fing er wieder an zu spielen. Er hielt dabei den Kopf gesenkt, als würde er sich auf seine Musik konzentrieren, aber Claire glaubte nicht, dass er das tat. Irgendetwas stimmte nicht mit der Art und Weise, wie er das gesagt hatte. Wie er sie dabei nicht angeschaut hatte. »Wie wäre es mit noch ein paar Sandwichs?«
Eve hob den Kopf und starrte ihn an, Tränen verschmierten ihre Wimperntusche zu einem Clowns-Make-up. »Unglaublich«, sagte sie. »Du weißt, was auf diesen Aufnahmen ist. Du weißt es, Michael. Du lässt zu, dass sie sie nimmt und verkauft?«
»Wir müssen klug vorgehen. Wenn wir völlig planlos
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