Bittersweet Moon 2
Bild
ausstrahlen, machen mich sprachlos und ergriffen. Ich blicke in das Gesicht der
Göttin, die ein Abbild Botticellis angebeteter Simonetta Vespucci ist und
kriege immer wieder Gänsehaut. Am meisten berühren mich ihre Augen, die
unglaublich traurig und wehmütig blicken. Botticelli drückte in diesen Augen
die ganze Tragödie seiner unerfüllten Liebe zu der viel zu früh verstorbenen
jungen Schönheit aus. Vielleicht brachte er damit seine lebenslange Trauer über
den Verlust seiner Muse zum Ausdruck. Oder er versuchte zu erfassen, wie ein
junger Mensch blickt, wenn er instinktiv ahnt, dass ihm nur noch wenig Zeit
übrig geblieben ist. Ist auch nicht wichtig. Egal, wie man sich den
Gesichtsausdruck der Göttin erklären mag - diese Augen haben etwas
Überirdisches in sich, sie blicken weit in die Ewigkeit und wecken im
empfänglichen Betrachter eine unerklärte Sehnsucht und Melancholie. Ich habe
Robin schon während der Fahrt die traurige Geschichte von Simonetta und
Botticelli erzählt. Wie sehr er sie liebte, obwohl seine Liebe keine Chance auf
Erfüllung hatte. Wie er sie wie ein Besessener immer wieder auf seinen Gemälden
verewigte und ihre damals auch außerhalb Italiens berühmte Schönheit
unsterblich machte. Robin merkt, wie ergriffen ich bin und er legt seine Hand
auf meine Schulter. „So viel Schönheit gibt einem das Gefühl, diese Welt ist
voll Nichtigkeiten und Oberflächlichkeiten. Erst so was Vollkommenes wie dieses
Meisterwerk öffnet einem die Augen für das Wahre und Wichtige ...“, murmelt er
vor sich hin und ich sehe, dass auch er von dem Gemälde zutiefst getroffen ist.
„Wir verlieren viel zu viel Zeit im Leben mit unbedeutenden Sachen, mit der
Jagd nach dem besonderen Kick und übersehen dabei das, was wirklich zählt. Ich
weiß immer noch nicht, was ich wirklich will, was ich eigentlich die ganze Zeit
suche ... Dieses Bild und die Geschichte dahinter erinnern einen daran, dass
wir keine Ewigkeit zur Verfügung haben und dass das Leben in jedem Augenblick
vorbei sein kann ...“ Robin überrascht mich mit seinen ernsten Gedanken, die er
mit mir teilt. Sein Leben ist doch so erfüllt im Vergleich mit uns Durchschnittsmenschen!
Er hat in seinem Leben so viel erreicht und alle seine Träume sind in Erfüllung
gegangen. Aber scheinbar ist er immer noch auf der inneren Suche und hat
unerfüllte Sehnsüchte. Ich bin dankbar für diesen Moment, wo er mir wieder mal
erlaubt, tief hinter seiner Fassade zu blicken und in ihm bloß den Menschen,
nicht den erfolgreichen Rockstar sehen zu dürfen.
Wir
stehen eine Weile da, dicht nebeneinander, und teilen das besondere Erlebnis.
Wir berühren uns nicht nur körperlich, ich spüre Robin ganz nah, wie schon
früher, als wir zusammen Musik gemacht haben. Und damals in der
Vergangenheit, als ich diese verrückte, noch nie zuvor erlebte Verbundenheit
mit ihm empfunden habe ... Spätestens in diesem Augenblick wird mir
bewusst, dass unsere unverbindliche Beziehung wieder mal den Rahmen einer
belanglosen Liebelei gesprengt hat … Ich weiß nicht, was in Robin vorgeht, doch
ich bin definitiv nicht in der Lage, meine Gefühle für ihn auf das rein
Körperliche zu reduzieren. Ich habe dich gewarnt!, meldet sich mein
innerer Zensor rechthaberisch. Diesmal finde ich keine passenden Worte, um ihn
zum Teufel zu jagen. Ich versuche lieber weiter die ätherische Atmosphäre des
Gemäldes, das nicht von dieser Welt zu sein scheint, zu genießen. Ein leises
Räuspern der Frau, welche mit Paolo die ganze Zeit still neben der Tür steht,
erinnert uns daran, dass wir nur wenige Minuten zur Verfügung haben. Wir lösen
uns von Simonettas Antlitz und ziehen weiter, um noch andere Gemälde
Botticellis zu bewundern. Auch dort entdecken wir überall Simonettas Augen,
ihre engelsgleichen Gesichtszüge, ihr wunderschönes, goldenes Haar. Die Zeit
ist schnell um, jedoch sind wir so erfüllt mit den Eindrücken, dass wir die
ganze Fahrt auf dem Heimweg fast schweigend verbringen. Ich fühle mich
gesättigt und gleichzeitig emotional seltsam aufgewühlt. Es ist wohl ein
Botticelli-Overload, den man erst mal verdauen und sacken lassen muss.
In
der Küche essen wir noch eine Kleinigkeit und Robin gönnt sich einen Scotch.
Fast schweigend sitzen wir eine Weile auf der Terrasse und lassen den Abend
ruhig ausklingen. Eine Sternenschuppe erscheint plötzlich auf dem dunkelblauen
Himmel. „Wünsch dir was“, sagt Robin und greift nach meiner Hand. Ich überlege
eine Weile und
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