BKA - Die Jaeger des Boesen
ein Rechner, installiert und programmiert von EUROPOL, auf den per sichere Leitung bei Bedarf Relevantes aus der Sammlung in Den Haag überspielt werden kann. Für gewisse Staaten bleibt die Leitung gesperrt, und zwar stillschweigend immer dann, wenn nach Ansicht der Verfasser von OCTA Strukturen herrschen, die eine Verbindung zwischen organisierten Kriminellen und staatlichen Stellen vermuten lassen. Bei verdeckten Einsätzen gegen Menschenhändler oder Autoschieber sind in bestimmten Ländern die Reihen der Polizei nicht geschlossen, sondern durchlässig. Es gibt da zwischen Jägern und Gejagten so gute Beziehungen, dass im Zweifelsfall EUROPOL lieber darauf verzichtet, die Loyalität von örtlichen Polizisten zu testen, die bei Monatsgehältern von umgerechnet fünfhundert Euro das eine oder andere Auge oder bei einem entsprechenden Bonus auch beide Augen zudrücken.
Wenn gegen den Tauschhandel mit Kinderpornografiebildern im Internet ermittelt wird oder wenn es um Einsätze geht gegen pädokriminelle Hintermänner, ist allerdings stets Verlass darauf, dass die Dienststellen aller angeschlossenen Länder bedingungslos mitmachen, nichts von den Einsätzen verraten wird, insbesondere niemand fragt, ob vor der Aktion etwa noch offene juristische Fragen zu klären seien. Alle eint die Überzeugung, dass die sexuelle Ausbeutung von Kindern, der Missbrauch, die Gewalt gegen die Kleinsten zwar nicht die finanzielle Dimension des Rauschgifthandels erreicht, aber die Opfer viel schlimmer dran sind als die Abhängigen von Heroin oder Kokain oder LSD.
Valerio Papajorgji aus Neapel ist seit siebeneinhalb Jahren bei EUROPOL in Den Haag und die im großen Netz zuständige Spinne, die child offenders, child molesters, child abusers fangen soll. Unterschiedliche Begriffe für ein einziges Verbrechen: sexuelle Gewalt gegen Kinder.
Der italienische Europäer erzählt mir von einer Fahndung, bei der der Zufall eine große Rolle spielte, bei der die Ermittlungen
über Jahre gingen, die aber beispielhaft dafür war, wie entscheidend die Zusammenarbeit über alle Grenzen und Kontinente hinweg ist. Man hört, dass er stolz ist auf die »Operation Koala« genannte gelungene Aktion, an der mehr als tausend Beamte in zwanzig Ländern beteiligt waren und bei der zweiundvierzig Kinder aus der Gewalt ihrer Folterer befreit werden konnten. Ich will ihm seinen Stolz nicht verdüstern und ihn fragen, was ich alle, die sich gegen die Hydra stemmen, ja immer wieder gefragt habe – wie sie aushalten, was sie anschauen müssen. Es sind ja nicht allein die sichtbaren Zeichen der Gewalt, die den Atem stocken und die Seele erstarren lassen. Es sind die wimmernden Schreie, das »Bitte nicht« in Sprachen, die man zwar nicht versteht, wobei man aber immer versteht, was gemeint ist: das Weinen, das Schreien und das brutale Gestöhne der Männer, die sie so quälen.
Papajorgji schweigt. Lieber schildert er einen Ermittlungserfolg, als über die eigenen Gefühle zu sprechen. Die »Operation Koala« begann im Sommer 2006 mit Ermittlungen gegen Pädophile in Australien. Bei einer Hausdurchsuchung stellten die Beamten ein Video sicher, auf dem zu sehen war, wie ein Mann ein kleines Mädchen sexuell missbrauchte. Er redete, stöhnte, brüllte und übertönte ihre Schreie, ihre Bitten, ihr Weinen. Die Australier verstanden nicht, was er sagte, ahnten allerdings, dass es sich um eine europäische Sprache handeln musste. Sie schickten den Film zu Interpol nach Lyon, und die gaben ihn weiter nach Den Haag. Von EUROPOL wurde schnell ermittelt, dass der Mann auf dem Video Niederländisch mit flämischem Akzent sprach, wahrscheinlich also aus Belgien stammte. Alle lokalen belgischen Polizeibehörden bekamen daraufhin Kopien des Materials. Ein Polizist aus einer Provinzstadt erkannte auf den Bildern ein kleines Mädchen, das er schon oft auf seinem Weg zum Dienst an der Haltestelle des Schulbusses gesehen hatte. Ihre Adresse mithilfe der Schulbehörde zu ermitteln war Routine. Der Einsatz der örtlichen Polizei erfolgte tags darauf. So schnell wie nur möglich sollten das Mädchen oder andere Kinder vor weiterem Missbrauch geschützt und befreit werden.
Wie sich herausstellte, war der Vater des Mädchens der Täter. Bei der Hausdurchsuchung wurden viele Videos gefunden, die seine Taten dokumentierten. Der Mann gestand und gab im Verhör den Namen des Produzenten preis. Ein Italiener. Den nahm die Polizia di Stato in Italien kurz vor seiner Flucht in die Ukraine
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