Black Box: Thriller (German Edition)
Rückenlehne seines Stuhls klebte eine Haftnotiz. Noch bevor er sie las, wusste er, dass sie von Lieutenant O’Toole war. Haftzettel waren eins von O’Tooles bevorzugten Kommunikationsmitteln. Es stand nur » WIR MÜSSEN REDEN « drauf.
»Sieht ganz so aus, als hättest du morgen früh mit O’Fool eine Unterredung unter vier Augen, Harry«, sagte Chu.
»Ja, ich kann’s kaum erwarten.«
Er zerknüllte den Zettel und warf ihn in den Papierkorb. Er würde sich nicht beeilen, am nächsten Morgen mit O’Toole zu sprechen. Er hatte anderes zu tun.
12
E s war Teamwork. Madeline bestellte das Essen online, und Bosch fuhr im Bird’s in der Franklin vorbei, um es abzuholen. Es war noch heiß, als er nach Hause kam. Sie öffneten die Schachteln und schoben sie sich gegenseitig über den Tisch zu, weil sie falsch geraten hatten. Beide hatten sich für das gegrillte Hühnchen nach Art des Hauses entschieden, aber Bosch hatte Baked Beans, Krautsalat und Barbecuesoße als Beilagen bestellt, seine Tochter Mac and Cheese und den malaysischen Süßsauer-Dip. Das Lavash-Fladenbrot war in Alufolie eingepackt, und ein kleinerer dritter Behälter enthielt die Portion Fried Pickles, die sie sich teilen wollten.
Das Essen war köstlich. Nicht so gut, wie wenn sie im Bird’s selbst gegessen hätten, aber es kam dem sehr nahe. Obwohl sie beim Essen einander gegenübersaßen, redeten sie nicht viel. Bosch war in Gedanken ganz bei seinem Fall und vor allem bei der Frage, wie er mit der Waffe, die er vor kurzem gefunden hatte, weiter verfahren sollte. Seine Tochter las ein Buch, während sie aß. Bosch machte ihr keine Vorhaltungen, weil er es wesentlich besser fand, wenn sie beim Essen las, als zu simsen oder sich auf Facebook herumzutreiben, wie sie das normalerweise tat.
Bosch war ein ungeduldiger Ermittler. Für ihn war alles eine Frage des Schwungs. Wie man ihn bei einem Fall aufnahm, wie man ihn beibehielt und wie man sich nicht ablenken ließ. Er wusste, dass er die Pistole zur Analyse in die Abteilung Schusswaffen bringen konnte, um dort möglicherweise auch die Seriennummer wieder sichtbar machen zu lassen. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach würde er Wochen, wenn nicht sogar Monate nichts von ihnen hören. Er musste einen Weg finden, diesen Prozess zu beschleunigen und die bürokratischen und arbeitslastbedingten Hürden zu umgehen. Nach einer Weile glaubte er, eine praktikable Lösung gefunden zu haben.
Bosch war bald mit dem Essen fertig. Er schaute über den Tisch und sah, dass er mit etwas Glück vielleicht noch etwas Mac and Cheese bekäme.
»Willst du noch was von den Pickles?«, fragte er.
»Nein, du kannst alles haben«, sagte sie.
Er verputzte die restlichen Pickles mit einem Bissen. Er schielte nach dem Buch, das sie für den Englischunterricht las. Es war
Der Fänger im Roggen.
Sie war fast fertig damit. Bosch schätzte, sie musste nur noch ein paar Seiten lesen.
»Dieses Buch verschlingst du ja regelrecht«, sagte er. »Wirst du heute noch fertig damit?«
»Eigentlich sollten wir das letzte Kapitel noch gar nicht lesen, aber ich kann nicht aufhören. Es ist richtig traurig.«
»Weil der Held stirbt?«
»Nein … das heißt, das weiß ich noch nicht. Aber ich glaube eigentlich nicht. Nein, traurig bin ich, weil es dann zu Ende ist.«
Bosch nickte. Er war alles andere als ein großer Leser, aber er wusste, was sie meinte. Ihm war es so gegangen, als er mit
Straight Life
fertig geworden war, das durchaus das letzte Buch gewesen sein könnte, das er von Anfang bis Ende gelesen hatte.
Sie legte das Buch beiseite, um endlich fertig zu essen. Jetzt wurde Bosch klar, dass vom Mac and Cheese nichts übrig bliebe.
»Irgendwie erinnerst du mich übrigens an ihn«, sagte sie.
»Tatsächlich? An den Jungen in dem Buch?«
»Mr. Moll hat gesagt, es geht darin um Unschuld. Er möchte kleine Kinder auffangen, bevor sie in den Abgrund stürzen. Das ist die Metapher für den Verlust der Unschuld. Er kennt die Realitäten des Lebens und möchte die unschuldigen Kinder davor bewahren, sich ihnen stellen zu müssen.«
Mr. Moll war Maddies Lehrer. Sie hatte Bosch erzählt, dass er bei Klausuren, die sie im Klassenzimmer schrieben, auf sein Pult stieg, um die Schüler besser im Blick zu haben und sie am Abschreiben zu hindern. Die Kids nannten ihn deshalb den »Fänger auf dem Pult«.
Bosch wusste nicht, was er dazu sagen sollte, weil er das Buch nicht gelesen hatte. Er war in Heimen und gelegentlich bei
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