Black Box
Sie waren hellgrün, sehr überzeugend für eine Untote, und für einen Moment tauchte ein Blitzen darin auf, ein unmissverständliches Zeichen der Erregung. Sie ließ sich jedoch nicht weiter anmerken, dass sie ihn erkannt hatte, und im nächsten Moment wandte sie sich ab und blätterte wieder in ihren Drehbuchseiten.
»Mir hat auf der Highschool nie jemand ein Liebesgedicht geschrieben«, sagte sie. »Daran würde ich mich erinnern. Ich wäre vor Glückseligkeit gestorben.«
»Doch, als wir nachsitzen mussten. Weißt du nicht mehr? Billings hat uns wegen des Küchensketches zwei Wochen aufgebrummt! Du hattest eine Gurke geschnitzt, die wie ein Penis aussah. Und dann hast du gesagt, man soll sie bei etwas über Raumtemperatur eine Stunde marinieren und sie sich dann in die Hose stecken. Das war eine der Sternstunden des ›Tödlichen Klamaukkollektivs‹. Und wir bestimmten, was da lief. Wenn ich mich nicht täusche, waren wir auch die einzigen Mitglieder, die ihre Beiträge regelmäßig gezahlt haben.«
»Wir haben Beiträge bezahlt?«
»Ja, wir haben die anderen Mitglieder damit bestochen. Sonst wären sie uns auf der Stelle davongelaufen.«
»Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »In was für Clubs ich auf der Highschool war, kann ich mich noch gut erinnern, aber bei einer Comedytruppe war ich bestimmt nicht.«
»In welchen Clubs warst du denn?«
»Im ›Scheiß Bobby Conroy‹-Team. Und dem ›Bobby Conroy mit dem kleinen Schwanz‹-Klub. Und der ›Gesellschaft zur Verfassung komischer Geschichten über die Schwuchtel Bobby Conroy‹.« Sie wandte den Blick ab und betrachtete die Drehbuchseiten auf ihren Knien. »Kannst du dich noch an irgendwelche Einzelheiten aus diesen legendären Gedichten erinnern?«
»Wie meinst du das?«
»Eine Zeile. Wenn du dich an etwas aus diesen Gedichten erinnern kannst – an eine einzige herzzerreißende Zeile –, dann fällt mir vielleicht alles wieder ein.«
Erst fürchtete er, dass ihn sein Gedächtnis im Stich lassen würde. Er starrte sie mit ausdrucksloser Miene an, die Zunge auf die Unterlippe gepresst, aber sein Kopf weigerte sich, ihm auf die Sprünge zu helfen.
Dann öffnete er den Mund und fing an zu sprechen, und dabei kam alles wieder zurück: » Wie gern würd ich dich duschen sehn, ich hoff, du find’st das nicht obszön. «
» Doch seifst du deine Brüste ein, würd ich nur zu gern bei dir sein! « , rief Harriet und sah ihn mit leuchtenden Augen an. »Meine Fresse, Bobby Conroy! Komm her und lass dich drücken. Aber verschmier mir nicht die Schminke!«
Er beugte sich zu ihr hinüber und legte ihr den Arm um die schmalen Schultern. Fassungslos schloss er die Augen, drückte sie an sich und fühlte sich dabei maßlos glücklich, so glücklich wie noch nie, seit er wieder zu seinen Eltern nach Monroeville gezogen war. Es hatte keinen Tag gegeben, an dem er nicht an sie gedacht hätte. Wenn er deprimiert war, träumte er mit offenen Augen von ihr, und all diese Träume begannen mit genau so einer Situation! Nun, vielleicht nicht genau mit dieser Situation – in seiner Vorstellung waren sie nicht als teilweise verweste Leichen zurechtgeschminkt gewesen.
Wenn er morgens in seinem Zimmer über der Garage seiner Eltern aufwachte, fühlte er sich niedergeschlagen und hatte zu nichts Lust. Oft blieb er auf seiner durchgelegenen Matratze liegen und starrte zu den Oberlichtern hinauf. Die Scheiben waren mit einer dicken Staubschicht bedeckt, und das farblose, nichts sagende Weiß des Himmels darüber sah immer gleich aus. Es gab keinen Grund aufzustehen und die ersten Momente nach dem Aufwachen zu überwinden. Besonders schlimm war, dass er sich noch gut an das Gefühl erinnern konnte, das er als Teenager gehabt hatte, wenn er in diesem Bett aufgewacht war: Die ganze Welt hatte ihm zu Füßen gelegen, und voller Begeisterung war er in jeden neuen Tag gegangen, ganz egal, was am Tag vorher los gewesen war. Wenn er davon träumte, Harriet wiederzusehen und ihre Freundschaft zu erneuern, war das wenigstens etwas, was sein Blut in Wallungen brachte. Manchmal wurden diese frühmorgendlichen Tagträume explizit erotisch, und er dachte daran zurück, wie sie sich in den Schuppen ihres Vaters geschlichen hatten und wie sie auf dem fleckigen Beton gelegen hatte, die viel zu dünnen Beine gespreizt, noch immer die Socken an den Füßen. Seine anderen Tagträume waren dornenreich; wenn er sich ihnen näherte, riskierte er stets, sich einen blutigen Finger zu
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