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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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ausdachte.
    Meine Mutter beugte sich zu meinem Vater hinüber und strich ihm mit dem Finger über die Lippen, als würde sie einen Reißverschluss zuziehen.
    »Lass mich das erzählen«, sagte sie. »Ich verbiete dir, mich noch einmal zu unterbrechen.«
    »Wenn wir solche Geldprobleme haben, könnte ich ja für eine Weile zu Luke ziehen«, sagte ich. Und damit zu Jane, dachte ich im Stillen. »Da würde ich uns nicht so auf der Tasche liegen.«
    Meine Mutter wandte sich wieder mir zu. »Um das Geld mache ich mir keine Sorgen. Morgen kommt ein Gutachter vorbei. In der Hütte gibt es ein paar wunderbare alte Sachen, die uns dein Großvater hinterlassen hat. Wir überlegen, ob wir nicht ein paar davon verkaufen sollen.«
    Mein Großvater Upton war letztes Jahr gestorben, und zwar auf eine Art und Weise, über die niemand reden wollte. Es war ein Tod gewesen, der so gar nicht zu seinem vorherigen Leben gepasst hatte – als hätte man den Schluss eines Horrorfilms an eine knallige Capra-Komödie gehängt. Er war gerade in New York, wo ihm eine Wohnung im vierten Stock eines alten Hauses an der Upper East Side gehörte, eine seiner vielen Immobilien. Er hatte auf den Aufzug gewartet, und als sich die Tür öffnete, trat er hindurch – aber da war kein Aufzug, und er fiel bis ganz nach unten. Beim Sturz war er nicht gleich umgekommen. Er lebte noch einen ganzen Tag am Boden des Aufzugschachts. Der Aufzug war alt und langsam, und wenn er sich bewegen sollte, beschwerte er sich lautstark und ähnelte dabei manchen Bewohnern des Hauses. Niemand hörte meinen Großvater schreien.
    »Warum verkaufen wir das Haus am Big Cat Lake nicht?«, wollte ich wissen. »Dann könnten wir mit dem Zaster nur so um uns werfen.«
    »Leider geht das nicht. Es gehört nicht uns. Ein Treuhänder verwaltet es für uns – für mich, dich, Tante Blake und die Greenly-Zwillinge. Aber selbst wenn es uns gehören würde, könnten wir es nicht einfach so verkaufen. Es ist schon seit einer Ewigkeit in unserer Familie.«
    Zum ersten Mal, seit wir ins Auto gestiegen waren, wurde mir klar, warum wir eigentlich zum Big Cat Lake fuhren. Ich begriff, dass meine Wochenendpläne geopfert worden waren, um die Hütte neu zu gestalten. Das machte meine Mutter für ihr Leben gern. Sie suchte leidenschaftlich gern Vorhänge, Buntglaslampenschirme und seltsame Beschläge für die Schränke aus. Irgendjemand hatte ihr die Verantwortung übertragen, die Hütte am Big Cat Lake neu herzurichten – wahrscheinlich hatte sie sich sogar freiwillig gemeldet –, und um einen Anfang zu machen, wollte sie erst einmal den ganzen Krempel loswerden, der dort herumflog.
    Ich kam mir wie ein Hornochse vor, dass ich mich von ihrem Spielchen von meiner schlechten Laune hatte ablenken lassen.
    »Ich wollte den Abend mit Luke verbringen«, sagte ich.
    Meine Mutter warf mir unter ihren halb geschlossenen Augen einen verschmitzten, wissenden Blick zu, und ich spürte, wie meine Kopfhaut unbehaglich prickelte. Ob sie wohl ahnte, was tatsächlich hinter meiner Freundschaft mit Luke Redhill, einem raubeinigen, aber gutmütigen Nasenbohrer, steckte, dem ich mich intellektuell überlegen fühlte?
    »Dort wärst du nicht sicher. Die Spielkartenleute hätten dich geholt«, sagte sie mit schadenfroher und verschwörerisch klingender Stimme.
    Ich blickte zur Decke des Wagens hoch. »Na klar.«
    Für eine Weile fuhren wir schweigend dahin.
    »Und warum sind sie hinter mir her?«, fragte ich schließlich, obwohl ich das Spiel eigentlich leid war.
    »Weil wir so unbeschreibliches Glück hatten. Niemand hatte so ein Glück wie wir. Die Vorstellung, dass jemand so leicht durchs Leben kommt, ist ihnen zuwider. Aber wenn sie dich erwischen würden, wäre alles vorbei. Dann spielt es keine Rolle, wie viel Glück du gehabt hast – wenn man ein Kind verliert, ist es mit dem schönen Leben vorbei.«
    Wir waren mit Glück gesegnet, das stimmte – mit großem Glück sogar. Wir waren nicht nur wie alle in unserer weitverzweigten Familie, die von dem Treuhandfonds profitieren, ziemlich wohlhabend, mein Vater hatte auch mehr Zeit für mich als andere Väter für ihre Söhne. Er ging erst zur Arbeit, wenn ich schon längst zur Schule unterwegs war, und normalerweise war er wieder vor mir zu Hause. Falls ich dann nichts anderes vorhatte, fuhren wir zum Golfplatz und spielten eine Runde. Meine Mutter war erst fünfunddreißig, noch immer wunderschön und hatte den natürlichen Drang, anderen Leuten Streiche zu

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