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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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kräftigem Rot und Schwarz angemalt und auf den Seiten mit fortlaufenden arabischen Schriftzeichen bedeckt. Die Fenster dieser Kisten waren in Form von Blütenkelchen ausgeschnitten, die mich unwillkürlich an die despotischen Herrscher des Nahen Ostens denken ließen, an Haremsdamen und an Aladin.
    Morris runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Ich hab da drin gespielt und konnte nicht mehr rausfinden. Hat alles irgendwie so merkwürdig ausgesehen.«
    Ich betrachtete die Festung. Sie hatte an jeder Seite einen Eingang, und jede zweite Kiste besaß ein Fenster. Mein Bruder mochte manchmal seine Probleme haben, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie er in dieser Festung so sehr die Orientierung verlor, dass er nicht mehr wusste, wo er war.
    »Warum bist du nicht einfach zu einem Fenster gekrochen und hast rausgeschaut?«
    »Da waren keine Fenster mehr, als ich mich verirrt hab. Ich hab jemand reden gehört und da hab ich versucht, die Stimmen zu finden, aber sie waren so weit weg, und ich hab nicht rausgefunden, woher sie kamen. Das warst nicht du, oder? Das klang nicht wie deine Stimme, Nolan.«
    »Nein«, rief ich. »Was war das für eine Stimme?« Als ich das sagte, blickte ich mich um. Waren wir hier unten wirklich allein? »Was hat sie gesagt?«
    »Ich hab nicht immer alles verstanden. Manchmal hat er meinen Namen gesagt. Manchmal hat er gesagt, ich soll weitergehen. Und einmal hat er gesagt, dass wir bald ein Fenster finden würden. Und dass ich auf der anderen Seite Sonnenblumen sehen würde.« Morris hielt inne und seufzte leise. »Vielleicht hab ich das ja auch am Ende von dem Tunnel gesehen – das Fenster und die Sonnenblumen. Aber ich hatte solche Angst und wollte nicht näher ran, also hab ich mich umgedreht, und da hat mir plötzlich der Kopf so wehgetan. Und dann hab ich kurz danach einen Ausgang gefunden.«
    Unvermittelt hatte Morris also unter Realitätsverlust gelitten, während er in seiner Festung herumkroch. Das war durchaus möglich. Erst vor einem Jahr hatte er damit begonnen, sich die Hände rot anzumalen, weil ihm das angeblich half, Geräusche zu fühlen. Wenn er dann in einem Zimmer war, in dem Musik lief, schloss er die Augen, hielt sich die purpurroten Hände wie Antennen über den Kopf und wippte mit dem ganzen Körper hin und her, als führte er einen spastischen Bauchtanz auf.
    Mich beunruhigte allerdings weitaus mehr der Gedanke, dass sich tatsächlich jemand im Keller befinden könnte, so unwahrscheinlich das auch sein mochte – ein plappernder Psychopath, der womöglich in genau diesem Augenblick in einer der engen Kisten hockte, aus denen Morris’ Festungsanlage bestand. Wie auch immer, ich hatte ziemlich Schiss. Ich nahm Morris an der Hand und sagte ihm, er solle mit mir nach oben gehen und Mutter erzählen, was vorgefallen sei.
    Als sie seine Geschichte hörte, schien sie wie vom Donner gerührt. Sie legte Morris eine Hand auf die Stirn. »Du bist ja ganz verschwitzt! Wir gehen jetzt am besten rauf, Morris. Du kriegst ein Aspirin. Und ich möchte, dass du dich ein wenig hinlegst. Wir können ja nachher noch einmal über alles reden, wenn du dich ausgeruht hast.«
    Ich war sehr dafür, den Keller auf der Stelle abzusuchen, falls sich doch jemand dort unten herumtreiben sollte, aber meine Mutter schob mich beiseite und zog eine Grimasse, als ich noch etwas dazu sagen wollte. Die beiden verschwanden nach oben, und ich saß fast die ganze nächste Stunde an der Küchentheke, behielt die Kellertür im Auge und rutschte unruhig hin und her. Diese Tür war der einzige Ausgang aus dem Keller. Hätte ich das Geräusch von Schritten auf der Treppe gehört, wäre ich schreiend aufgesprungen. Aber niemand tappte herauf, und als mein Vater nach Hause kam, durchsuchten wir den Keller gemeinsam. Niemand versteckte sich hinter dem Boiler oder dem Öltank. Genau genommen war unser Keller ausgesprochen aufgeräumt und gut ausgeleuchtet – der einzige Ort, wo sich ein Eindringling hätte verbergen können, war Morris’ Festung. Ich ging um sie herum, trat mit dem Fuß dagegen und blickte durch die Fenster hinein. Dad sagte, ich solle doch einfach reinkriechen und mich drin umsehen, musste dann aber über meinen Gesichtsausdruck lachen. Als er wieder raufging, rannte ich ihm hinterher. Ich wollte auf keinen Fall unten an der Treppe stehen, wenn er das Licht ausschaltete.
     
    Eines Morgens, als ich meine Bücher in die Sporttasche warf, um mich auf den Weg zur Schule zu machen, fielen

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