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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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eingefallen waren. Was ich dann aber als Nächstes tat, hätte ich fünf Minuten zuvor noch für völlig unmöglich gehalten: Ich drückte Eddy Camerons Text in die Hand.
    »Du hast schon zwei Fragen beantwortet? Dann nimm du das doch. Lange wirst du’s wohl eh nicht brauchen. Ich schau’s mir an, wenn du damit durch bist.«
    Er grinste mich an, im Babyspeck seiner Wangen bildeten sich Grübchen. »Wie kommt es, dass du mit diesem Test in so eine Patsche geraten bist, Lerner?«
    »Ich hab’s einfach vergessen. Im Unterricht kann ich zurzeit nicht aufpassen. Kennst du Gwen Frasier?«
    »Das ist voll die Hexe. Was ist mit ihr?«
    »Sie ist eine Hexe, die keinen Schlüpfer anhat. Sitzt neben mir und klappt immer die Beine auf und zu. Wie soll ich mich auf Geschichte konzentrieren, wenn dieses Wunder der Natur mir dauernd den Verstand raubt?«
    Eddy lachte laut los – so laut, dass sich überall auf dem Hof Leute nach uns umdrehten. »Wahrscheinlich will sie nur ihre Herpes auslüften, damit die wunden Stellen trocknen. Nimm dich bloß vor der in Acht, Partner.« Und dann lachte er munter weiter, bis er sich die Tränen aus den Augen wischen musste, und ich stimmte mit ein, was mir normalerweise nicht leichtfiel. Meine Nervenenden bebten. Er hatte Partner zu mir gesagt.
     
    Wenn ich mich nicht täusche, hat er mir Camerons Hausaufgaben nie zurückgegeben, und ich musste meinen Test dann völlig unausgefüllt abgeben – aber in dieser Hinsicht ist meine Erinnerung etwas verschwommen. Nach jenem Vormittag habe ich mich ihm jedenfalls häufiger angeschlossen. Er redete gern über seinen älteren Bruder Wayne, der vier Wochen einer dreimonatigen Gefängnisstrafe in einer Jugendstrafanstalt abgesessen hatte und dann ausgebrochen war. Er hatte das Oldsmobil von irgendjemandem abgefackelt und lebte jetzt auf der Straße. Auf der Flucht. Eddy erzählte, dass Wayne manchmal anrief, um mit den Verletzungen zu prahlen, die er sich bei Kneipenschlägereien einhandelte, und damit, wie viele Kerle er verprügelte. Was sein Bruder trieb, um Geld zu verdienen, war allerdings unklar. Auf Bauernhöfen in Illinois aushelfen, sagte Eddy einmal. Oder er motzte irgendwelchen Niggern in Detroit die Karren auf, hieß es ein andermal.
    Wir hingen viel mit einer Fünfzehnjährigen namens Mindy Ackers herum, die in einer Kellerwohnung gegenüber dem Zweifamilienhaus, in dem Eddy wohnte, den Babysitter spielte. Obwohl die Wohnung nach Schimmel und Pisse roch, hockten wir ganze Nachmittage lang dort, rauchten Kippen und spielten Dame um Geld, während das Kind mit nacktem Arsch zwischen unseren Füßen herumkrabbelte. An anderen Tagen liefen Eddy und ich auf dem Pfad durch das Waldstück hinter dem Christobel-Park zur Fußgängerüberführung über die Route 111. Eddy hatte dann immer eine braune Papiertüte mit Müll dabei, die er aus der Wohnung hatte mitgehen lassen, in der Mindy das Kind hütete. In der Tüte waren vollgeschissene Windeln und triefende Kartons mit ranzigem Fastfood vom Chinesen. Diese Müllbomben ließ er auf die Trucks fallen, die unter uns durchbrausten. Einmal erwischte er einen riesigen Sattelschlepper, auf dessen Motorhaube die Hörner eines Stiers prangten. Die Windel platzte auf der Windschutzscheibe der Beifahrerseite, und dillgelber Dünnschiss spritzte über das Glas. Die Druckluftbremsen kreischten, von den Reifen stieg Rauch auf. Der Fahrer hupte laut, ein gewaltiger Aufschrei, bei dem mir fast das Herz stehen geblieben wäre. Dann zogen wir einander an den Ärmeln und rannten lachend davon.
    »Beeil dich, Fettarsch, der ist uns auf den Fersen!«, schrie Eddy, und ich rannte aus reiner Lust am Rennen. Ich glaubte nicht, dass sich irgendjemand die Mühe machen würde, aus seinem Truck auszusteigen, um uns nachzulaufen, aber es machte Spaß, so zu tun, als ob.
    Dann, als uns die Puste ausging und wir keuchend durch den Christobel-Park zurückschlenderten, sagte Eddy: »Es gibt keine menschliche Lebensform, die ich widerlicher finde als Trucker. Ich hab noch keinen getroffen, der nach einer langen Fahrt nicht wie ein Eimer Pisse stinkt.« Es überraschte mich nicht sonderlich, als ich später erfuhr, dass der Freund von Eddys Mutter – die großmäulige Fotze – Fernfahrer war.
    Manchmal besuchte mich Eddy zu Hause, meist um Fernsehen zu gucken. Wir hatten einen guten Empfang. Er interessierte sich für meinen Bruder, wollte wissen, was mit ihm nicht stimmte, und wollte sehen, woran er im Keller gerade

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