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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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grenzenlose Nichts. Sollte ich von dieser Rampe fallen, würde nichts meinen Sturz aufhalten. Noch immer konnte ich die Fliegen in dem Marmeladenglas summen hören, obwohl ich schon ein ganzes Stück von ihnen entfernt war. Mir war schwindlig, also streckte ich die Hand aus und presste die Fingerspitzen gegen die Kartonwand. Sofort verschwand das Gefühl, durch gähnend leeren Raum zu kriechen, auch wenn mir im Kopf noch immer irgendwie komisch war. Die nächste Kiste war die kleinste und dunkelste von allen, und als ich durch sie hindurchkroch, streifte ich mit dem Rücken eine Reihe winziger Glöckchen, die von der Decke hingen. Ihr leises, metallisches Bimmeln jagte mir einen solchen Schreck ein, dass ich fast einen Schrei ausgestoßen hätte.
    Vor mir konnte ich jedoch eine runde Öffnung sehen, hinter der pastellfarbene Lichter in der Luft zu schweben schienen. Ich robbte hindurch.
    Die Kiste in der Mitte von Morris’ Kartonkrake war groß genug, um einer fünfköpfigen Familie samt Hund Platz zu bieten. Eine batteriebetriebene Lavalampe blubberte in einer Ecke vor sich hin, rote Plasmablasen trieben in der zähflüssigen bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Morris hatte die Kiste innen mit silberner Spiegelfolie tapeziert. Lichtfunken und -fäden zuckten die Wände entlang, goldene, himbeerrote und hellgrüne Wellen verliefen ineinander und verschwanden wieder. Während ich den langen Weg in die Festung hineingekrochen war, war es mir vorgekommen, als wäre ich geschrumpft und nicht mehr größer als eine Feldmaus. Und nun befand ich mich in einem kleinen Raum im Inneren einer Diskokugel! Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Meine Schläfen pochten dumpf, und die seltsamen, umherhuschenden Lichter machten meinen Augen zu schaffen.
    Ich hatte Morris nicht zu Gesicht bekommen, seit ich nach Hause gekommen war, und war davon ausgegangen, dass er mit meiner Mutter unterwegs ist. Aber er kauerte dort mit dem Rücken zu mir in der großen Kiste. Neben ihm lagen ein Comicheft und eine Schere. Er hatte die hintere Umschlagseite abgetrennt und sie mit einem weißen Papprahmen versehen, den er gerade mit Tesafilm an der Wand befestigte. Er hörte mich hereinkommen und drehte sich um, sagte aber nicht Hallo, sondern wandte sich gleich wieder seinem Bild zu.
    Aus dem Durchgang hinter mir drang ein Poltern, und ich rutschte beiseite, um Eddy Platz zu machen. Kurz darauf steckte er den Kopf durch die runde Luke und sah sich in der mit Silberfolie ausgekleideten Kiste um. Sein Gesicht war rot, und er grinste, tiefe Grübchen in den Wangen.
    »Heilige Scheiße«, sagte er. »Schau dir das an! Hier würd ich am liebsten ein Mädel flachlegen.«
    Er kroch das letzte Stück aus dem Tunnel und kniete sich hin.
    »Klasse Festung«, sagte er zu Morris. »In deinem Alter hätte ich für so was meine eigene Großmutter umgebracht!« Dabei war auch Morris mit elf Jahren eigentlich schon zu alt, um in einer Pappkartonfestung zu spielen.
    Morris antwortete nicht. Eddy warf mir kurz einen Blick zu, und ich zuckte mit den Achseln. Dann sah er sich mit offenem Mund und einem glückseligen Gesichtsausdruck in aller Seelenruhe um, während wir von einem golden und silbern funkelnden Lichtgestöber lautlos umfangen wurden.
    »Wirklich abgefahren, hier reinzukriechen«, plapperte er weiter. »Wie fandst du den Tunnel, der ganz mit schwarzem Fell ausgekleidet war? Als ich endlich das Ende erreicht hatte, bin ich mir vorgekommen, als würd ich aus ’ner Gorillamöse kriechen.«
    Ich lachte, warf ihm aber auch einen fragenden, leicht irritierten Blick zu. An einen mit Fell ausgekleideten Tunnel konnte ich mich nicht erinnern – und schließlich war er direkt hinter mir gewesen, war demselben Weg gefolgt wie ich.
    »Und dieses Windklangspiel!«, sagte Eddy.
    »Das waren Glöckchen«, verbesserte ich ihn.
    »Ach, tatsächlich?«
    Morris hatte unterdessen das Bild aufgehängt und kroch nun, ohne etwas zu sagen, auf einen dreieckigen Ausgang zu. Bevor er endgültig darin verschwand, warf er uns allerdings noch einen Blick zu. »Ihr dürft mir nicht folgen. Geht denselben Weg zurück, den ihr gekommen seid.« Diese Worte waren an mich gerichtet. »Der Weg hier führt nicht dahin, wohin er sollte. Ich muss noch daran arbeiten. Er ist noch nicht fertig.«
    Und damit duckte er sich unter der Luke hindurch und war verschwunden.
    Ich sah Eddy an und wollte mir gerade eine Entschuldigung ausdenken – so etwas in der Art wie: Tut mir echt leid, mein

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