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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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das Foto auf die Zementeinfriedung unterhalb des Geländers. Ohne wirklich darüber nachzudenken, griff ich mit einer Hand nach einem der Ziegelsteine.
    Die Zugmaschine eines Sattelschleppers donnerte unter uns vorbei; der Motor heulte auf, als der Fahrer in einen niedrigeren Gang schaltete. Schwarzer Dieselqualm wirbelte durch den Schnee empor, der in dicken Flocken fiel. Wann hatte es angefangen, zu schneien? Ich wusste es nicht mehr.
    »Wo hast du dir das blaue Auge eingefangen?«, versuchte ich es erneut, von meinem Mut selbst überrascht.
    Er wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab. Und grinste noch immer. »Der Scheißkerl, der mit meiner Mutter ausgeht, hat mich dabei erwischt, wie ich einen Blick in seine Brieftasche geworfen hab. Als ob ich seine Rabattmarken klauen würde oder was. Heute geht er früh ins Bett, weil er vor Sonnenaufgang nach Kansas muss, also halte ich mich eben so lange von zu Hause fern, bis … Hey, schau doch. Ein Tankwagen.«
    Ich folgte seinem Blick und sah einen weiteren riesigen Sattelschlepper auf uns zudröhnen. Er zog einen langen Stahltank hinter sich her.
    »Den können wir vielleicht in die Luft jagen«, sagte Eddy. »Vier Unzen C-4. Wenn wir die Scheißkarre richtig erwischen, legen wir den ganzen Verkehr lahm.«
    Auf der Einfriedung lag ein Ziegelstein, direkt vor ihm, und ich wartete darauf, dass er danach greifen und ihn runterschubsen würde, wenn der Tanklastzug unter uns hindurchrauschte. Stattdessen griff er nach meiner Hand, die noch immer auf dem anderen Ziegelstein ruhte. Ich erschrak, machte jedoch keinen Versuch, die Hand wegzuziehen. Das sollte ich an dieser Stelle vielleicht zugeben – was als Nächstes geschah, habe ich mitverschuldet.
    »Warte«, sagte er. »Ganz ruhig. Nicht verfehlen. Jetzt!«
    In dem Moment, als der Lastzug die Fußgängerbrücke erreichte, gab er meiner Hand einen Stoß. Der Ziegelstein erwischte den Tankwagen an der Seite – ein lautes Ra-bumm hallte zu uns herauf –, prallte ab und flog auf die Überholspur, wo gerade ein roter Volvo zu dem Öltank aufschloss. Der Ziegelstein krachte in die Windschutzscheibe des Volvos – ich sah gerade noch, wie sich darauf blitzartig ein Spinnwebmuster bildete –, dann verschwand der Wagen unter der Fußgängerbrücke.
    Beide wirbelten wir herum, hasteten zum Geländer auf der anderen Seite. Etwas fuhr mir in die Lunge, und für einen Moment konnte ich nicht ausatmen. Als der Volvo unter der Fußgängerbrücke hervorschoss, scherte er bereits nach links auf den Seitenstreifen aus. Dann kam er ganz von der Fahrbahn ab und schlitterte mit etwa fünfzig Sachen die schneebedeckte Böschung hinunter. In der flachen Senke unterhalb der Böschung standen ein paar dürre Ahornbäume. Mit einem lauten Knall fuhr der Volvo in einen hinein. Die zersplitterte Windschutzscheibe fiel heraus – ein einziges funkelndes Glasmeer –, rutschte über die Motorhaube und landete im Schnee.
    Ich versuchte noch immer verzweifelt auszuatmen, als die Beifahrertür aufging. Eine matronenhafte blonde Frau in einem roten Mantel, der in der Taille von einem Gürtel gehalten wurde, kletterte heraus. Sie hielt sich die behandschuhte Hand über ein Auge, schrie laut und riss die hintere Tür auf.
    »Amy!«, brüllte sie. »O Gott, Amy!«
    In diesem Moment packte Eddy mich am Ellenbogen und zerrte mich fort. »Scheiße, nix wie weg hier!«, schrie er.
    Er schubste mich noch einmal, als wir das Ende der Fußgängerbrücke erreicht hatten, so fest, dass ich stürzte und mit den Knien auf dem blauen Kieselbelag landete. Ein heftiger Schmerz schoss mir in die Kniescheibe. Aber schon riss er mich wieder auf die Beine, und wir rannten weiter. Ich dachte nicht nach. Ich rannte. Das Blut pochte mir in den Schläfen, mein Gesicht brannte in der kalten Luft. Ich rannte, was das Zeug hielt.
     
    Ich konnte erst wieder einen klaren Gedanken fassen, als wir den Park erreicht hatten und etwas langsamer liefen. Ohne uns abzusprechen, hatten wir den Weg zu mir nach Hause eingeschlagen. Meine Lunge schmerzte, so sehr hatte mich das Rennen in den Schneestiefeln angestrengt. Außerdem hatte ich eine Menge eisige Luft eingeatmet.
    Sie hat die hintere Tür aufgerissen und »O Gott, Amy!« geschrien. Also hat jemand hinten dringesessen, ein kleines Mädchen. Die große, stämmige Frau hatte sich einen Handschuh vor ein Auge gehalten. Hatte sie dort ein Glassplitter erwischt? Hatten wir sie geblendet? Und außerdem: Die Frau war aus dem

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