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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Bruder ist total plemplem –, aber er war um mich herumgekrochen und betrachtete die Bilder, die Morris an der Wand aufgehängt hatte. Darauf war eine Sea-Monkey-Familie zu sehen, die dicht beieinanderstand: nackte Geschöpfe mit dicken Bäuchen, fleischfarbenen Antennen und Menschengesichtern.
    »Schau«, sagte Eddy. »Er hat ein Bild seiner echten Familie aufgehängt.«
    Ich lachte. Wenn es um moralische Grundsätze ging, war bei Eddy nicht viel zu holen, aber es gelang ihm immer wieder, mich zum Lachen zu bringen.
     
    Es war an einem Freitag, irgendwann in den ersten beiden Februarwochen. Ich wollte gerade losziehen, als Eddy anrief und sagte, ich solle nicht zu ihm nach Hause kommen, sondern ihn auf der Fußgängerbrücke über der 111 treffen. Etwas an seinem Ton ließ mich aufhorchen – er klang irgendwie heiser und angespannt. Nichts von dem, was er sagte, war ungewöhnlich, aber die Stimme schien ihm fast zu versagen, und ich hatte das Gefühl, dass er sehr unglücklich war, sich aber gerade noch beherrschen konnte.
    Von zu Hause bis zur Fußgängerbrücke waren es zu Fuß zwanzig Minuten, die Christobal Avenue hinunter, durch den Park und dann den Naturlehrpfad entlang durch den Wald. Der Naturlehrpfad mit seinen bläulichen Kieselsteinen war sehr gepflegt und führte unter Birken und Ahornbäumen sanft den Hügel hinauf. Nach etwa einer halben Meile erreichte man die Fußgängerbrücke. Eddy stand auf das Geländer gestützt da und sah den Autos zu, die auf der Fahrbahn unter ihm in Richtung Osten brausten.
    Er blickte nicht hoch, als ich auf ihn zukam. Auf der bauchhohen Einfriedung vor ihm waren drei bröckelige Ziegelsteine aufgereiht, und gerade als ich ihn erreicht hatte, schubste er einen hinunter. Ich zuckte zusammen, aber der Ziegelstein fiel, ohne Schaden anzurichten, auf den Anhänger eines Sattelschleppers, der eben unter uns hindurchfuhr. Der Truck war mit riesigen Stahlrohren beladen. Der Ziegelstein schlug mit lautem Knall auf dem obersten Rohr auf und polterte dann seitlich hinunter. Damit löste er eine Folge von hallenden Tönen aus, als hätte jemand einen Hammer gegen die Metallpfeifen einer gewaltigen Orgel geworfen. Eddy öffnete den Mund und grinste breit – jenes typische pausbäckige Grinsen, das ihn so liebenswert machte. Seine Zahnlücken waren nicht zu übersehen. Er warf mir einen raschen Blick zu, wie um sich zu vergewissern, dass ich die unerwartete Musikalität seines Bombardements auch zu würdigen wusste. Und da sah ich sein linkes Auge. Es war von einem gewaltigen Bluterguss eingerahmt, abscheulich lila, an manchen Stellen auch gelb.
    Als ich sprach, erkannte ich meine eigene Stimme kaum. »Was ist passiert?«
    »Schau dir das an«, sagte er und kramte ein Polaroidfoto aus seiner Jackentasche. Er grinste immer noch, doch als er mir das Bild reichte, sah er mich nicht an, ganz so, als hätte er meine Frage nicht gehört. »’ne Augenweide, was?«
    Auf dem Bild waren zwei Finger zu sehen, Mädchenfinger, die Nägel dezent silberfarben lackiert. Sie gruben sich in ein Dreieck aus rot und schwarz gestreiftem Stoff, den sie sich in den Hautspalt zwischen ihren Beinen presste. Am Rand des Fotos konnte ich ihre Oberschenkel sehen, verschwommenes, ziemlich blasses Fleisch.
    »Ich hab gegen Ackers zehnmal hintereinander gewonnen«, sagte Eddy. »Wir haben gewettet, dass sie ein Foto machen würde, wie sie sich den Kitzler reibt, wenn sie das zehnte Spiel verliert. Sie ist ins Schlafzimmer gegangen, also hab ich nicht gesehen, wie sie das Bild gemacht hat. Aber sie hat eine Revanche verlangt, um das Bild zurückzugewinnen. Wenn ich sie jetzt wieder zehnmal hintereinander schlage, muss sie es sich besorgen, während ich dabei zusehe.«
    Ich drehte mich, so dass wir uns nebeneinander auf das Geländer stützten, das Gesicht dem heranstürmenden Verkehr zugewandt. Ich betrachtete das Foto, ohne es wirklich zu sehen, ohne groß etwas zu denken. Wie sollte ich reagieren, was sagen? Mindy Ackers war kein besonders hübsches Mädchen. Sie hatte krauses rotes Haar, schreckliche Akne und war furchtbar in Eddy verknallt. Wenn sie die nächsten zehnmal beim Damespielen verlieren sollte, dann mit Absicht.
    Im Augenblick interessierte es mich nicht besonders, was sie getan oder nicht getan hatte, um ihm zu gefallen. Ich wollte wissen, woher das Veilchen auf Eddys linkem Auge stammte – aber darüber wollte er offenbar nicht reden.
    »Wirklich abgefahren«, sagte ich schließlich und legte

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