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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Carroll winkte. Mit der anderen Hand nahm er das Handy aus dem Ladegerät – und stellte fest, dass er keinen Empfang hatte. Seine Überraschung hielt sich in Grenzen. Erneut musste er auflachen, ein ersticktes, nervenaufreibendes Geräusch.
    Als er hochblickte, stand die Haustür offen, und darin zeichneten sich zwei Gestalten ab, die zu ihm herüberstarrten. Alle drei Brüder starrten ihn jetzt an. Ohne nachzudenken, kletterte er aus dem Auto und stolperte die Auffahrt hinunter. Er rannte erst los, als er einen von ihnen brüllen hörte.
    Am unteren Ende der Auffahrt wandte er sich nicht der Straße zu, sondern überquerte sie und brach durch die Büsche, zwischen den Bäumen hindurch. Zweige peitschten ihm über das Gesicht. Er fiel, riss sich die Hosenknie auf, stand auf, rannte weiter.
    Die Nacht war klar und wolkenlos, der Himmel mit Sternen übersät. Ein Stück die Böschung hinunter hielt Carroll inne und duckte sich zwischen die Felsen, um wieder zu Atem zu kommen. Er hatte Seitenstechen. Hangaufwärts hörte er Stimmen und brechende Zweige. Jemand zog an der Reißleine eines kleinen Motors, einmal, zweimal, und dann ertönte das laute, durchdringende Kreischen einer Kettensäge, die zum Leben erwachte.
    Er richtete sich auf und rannte weiter, stürzte sich den Hang hinunter, flog durch die Zweige der Kiefern, sprang über Wurzeln und Steine, ohne sie zu sehen. Der Hügel wurde immer steiler und steiler, bis er ihn geradezu hinabfiel. Er war zu schnell, wusste, dass er irgendwann unweigerlich in irgendetwas hineinrennen und entsetzliche Schmerzen haben würde.
    Während er weiterlief, noch schneller wurde, bis er mit jedem Sprung meterweit durch die Finsternis zu segeln schien, wurde er von einer Gefühlsregung erfasst, die ihn schwindeln ließ – Panik vielleicht, aber ihm ging es sonderbar gut dabei. Er hatte das Gefühl, er würde jeden Moment abheben und nie wieder zur Erde zurückkehren. Dieser Wald, diese Finsternis, diese Nacht waren ihm vertraut. Über seine Chancen machte er sich keine Illusionen – sie waren denkbar schlecht. Er wusste, was hinter ihm her war; es verfolgte ihn schon sein ganzes Leben lang. Er wusste, wo er war: in einer Geschichte, die jeden Augenblick zu Ende sein konnte. Und besser als jeder andere wusste er, wie diese Geschichten ausgingen. Wenn jemand aus diesem Wald herausfinden konnte, dann er.

20th Century Ghosts
    Wenn der Saal fast voll ist, ist die beste Gelegenheit, sie zu sehen.
    Da gibt es diese Geschichte von dem Mann, der sich spätabends einen Film ansehen will und das riesige, für sechshundert Zuschauer gedachte Kino praktisch verlassen vorfindet. Mitten im Film sieht er sie auf einmal neben sich sitzen, in einem Sessel, der gerade eben noch leer gewesen ist. Sie dreht den Kopf und erwidert seinen Blick. Sie hat Nasenbluten. Ihre Augen sind weit aufgerissen und schmerzerfüllt. Ich habe Kopfweh, sagt sie. Ich muss für einen Augenblick hinaus. Erzählen Sie mir, was ich verpasst habe? In diesem Moment stellt der Mann fest, dass sie so unwirklich ist wie der flackernde blaue Lichtstrahl des Projektors – durch ihren Körper hindurch kann er den Sessel sehen, auf dem sie sitzt. Als sie sich erhebt, verschwindet sie einfach.
    Eine andere Geschichte erzählt von einer Gruppe von Freunden, die an einem Donnerstagabend gemeinsam ins Rosebud gehen. Einer von ihnen setzt sich neben eine blau gekleidete Frau, die offenbar allein ist. Als der Film nicht gleich anfängt, versucht er sich ein bisschen mit der Frau zu unterhalten. Was wird denn morgen gezeigt?, fragt er sie. Morgen bleibt das Filmtheater dunkel, erwidert sie flüsternd. Das hier ist die letzte Vorstellung. Kurz nachdem der Film angefangen hat, verschwindet sie, und auf der Heimfahrt kommt der Mann, der mit ihr gesprochen hat, bei einem Autounfall ums Leben.
    Diese und viele andere weithin bekannte Legenden über das Rosebud sind frei erfunden – Gespenstergeschichten von Leuten, die zu viele Horrorfilme gesehen haben und glauben, sie wüssten genau, was eine Gespenstergeschichte ausmacht.
    Alec Sheldon, Inhaber des Rosebud und einer der ersten, der Imogene Gilchrist begegnet ist, steht mit dreiundsiebzig Jahren immer noch selbst hinter dem Projektor. Er muss nur kurz mit jemandem reden, um zu wissen, ob derjenige sie wirklich gesehen hat, doch er äußert nie laut Zweifel an dem, was die Leute erzählen – das wäre schlecht fürs Geschäft.
    Er weiß aber, dass jeder, der behauptet, er hätte durch sie

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