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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Spätvorstellungen … Ich dachte … Um Himmels willen, das ist doch ein Kinderfilm! Was will sie mir nur antun?«
    Alec öffnete den Mund, ohne zu wissen, was er sagen wollte. Vermutlich irgendetwas über die Tote. Stattdessen sagte er: »Eigentlich ist das gar kein Kinderfilm.«
    Der Mann sah ihn leicht verärgert an. »Natürlich ist es ein Kinderfilm. Schließlich ist er von Walt Disney.«
    Alec erwiderte den Blick für eine Weile. »Sie müssen Harry Parcells sein«, sagte er dann.
    »Ja. Woher weißt du das?«
    »Nur geraten. Vielen Dank für die Cola, Sir.«
     
    Alec folgte Harry Parcells durch eine Tür hinter dem Stand mit dem Popcorn und den Erfrischungsgetränken auf einen Treppenabsatz, von dem aus sie ein kleines, vollgestopftes Büro betraten. Auf dem Boden stapelten sich reihenweise Filmdosen. Verblasste Poster, teilweise übereinandergeklebt, bedeckten die Wände: Teufelskerle, David Copperfield, Vom Winde verweht.
    »Tut mir leid, wenn sie dir einen Schrecken eingejagt hat«, sagte Parcells und ließ sich auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch fallen. »Geht es wieder einigermaßen? Du siehst ein wenig mitgenommen aus.«
    »Wer ist sie?«
    »Irgendwas in ihrem Kopf ist durchgebrannt.« Parcells deutete mit dem Finger auf seine linke Schläfe, so als hielte er sich eine Pistole an den Kopf. »Vor vier Jahren, beim Zauberer von Oz, während der allerersten Vorstellung. Es war fürchterlich. Sie kam fast jeden Tag hierher, meine beste Kundin. Wir haben uns oft unterhalten, haben herumgealbert …« Er presste die fleischigen Hände gegeneinander. »Und jetzt versucht sie, mich in den Bankrott zu treiben.«
    »Sie haben sie also auch gesehen.«
    Parcells nickte. »Ein paar Monate nach ihrem Tod. Sie sagte mir, ich würde nicht hierhergehören. Aber warum will sie mich von hier vertreiben? Wir sind doch vorher so gut miteinander ausgekommen … Hat sie dir auch gesagt, du sollst verschwinden?«
    »Warum ist sie hier?« Alecs Stimme war noch immer heiser, und es war eine seltsame Frage.
    Einen Moment lang musterte Parcells ihn durch seine dicken Brillengläser, scheinbar völlig verständnislos. Dann schüttelte er den Kopf. »Sie ist unglücklich. Sie ist gestorben, bevor der Zauberer zu Ende war, und das verfolgt sie bis heute. Ich kann es ihr nachfühlen. Das war ein toller Film – ich hätte auch das Gefühl, etwas verpasst zu haben.«
    In diesem Moment kam ein Rufen aus dem Foyer. »Hallo? Ist da jemand?«
    »Augenblick«, rief Parcells zurück. Er sah Alec mit gequältem Blick an. »Meine Verkäuferin hat mir gestern gekündigt. Ohne Vorwarnung.«
    »Wegen dem Gespenst?«
    »Nein, nein. Einer ihrer Haftfingernägel ist bei jemandem im Essen gelandet, und da habe ich ihr gesagt, sie soll sie nicht mehr tragen. Wer will schon auf einen fremden Fingernagel beißen? Darauf erklärte sie mir, dass viele Jungs aus ihrem Bekanntenkreis hierherkämen und dass sie ohne ihre Nägel hier nicht arbeiten könne. Also muss ich jetzt alles selber machen.« Während er das sagte, kam Parcells mit einem Zeitungsausschnitt in der Hand hinter dem Schreibtisch hervor. »Hier steht eigentlich alles über sie drin.« Dann bedachte er Alec mit einem nicht bösen, sondern eher warnenden Blick. »Lauf nicht weg, wir müssen noch reden.«
    Mit diesen Worten ging er hinaus. Alex starrte ihm nach und fragte sich, was dieser letzte, merkwürdige Blick wohl zu bedeuten hatte. Dann sah er sich den Zeitungsausschnitt an, der mit seinen brüchigen Rändern und der verblassten Druckerschwärze den Eindruck machte, als hätte ihn jemand schon sehr oft in der Hand gehabt. Es war ein Nachruf. Ihr Name war Imogene Gilchrist, sie hatte im Water Street Stationary gearbeitet und war mit neunzehn Jahren gestorben. Ihre Eltern, Colm und Mary, waren untröstlich. Freunde und Verwandte erinnerten sich an ihr ansteckendes Lachen, ihren ausgeprägten Sinn für Humor. Und sie erzählten, wie sehr sie das Kino geliebt hatte, dass sie alle Filme gleich am ersten Tag, in der ersten Vorstellung sehen musste. Wie bei einem dieser Partyspiele konnte sie die ganze Besetzung fast jedes Films auswendig, den man ihr nannte, ja, sie wusste sogar die Namen der Schauspieler, die nur einen Satz gesagt hatten. Sie war Vorsitzende des Theaterzirkels an ihrer Highschool, spielte in allen Stücken mit, baute die Kulissen auf, kümmerte sich um die Beleuchtung. »Ich habe mir immer gedacht, dass sie einmal ein Filmstar wird«, sagte ihr Schauspiellehrer. »Ihr

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