Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
Vom Netzwerk:
Francis’ Vater war die berühmte Ausnahme von der Regel – er hatte sein eigenes Geschäft. Buddy Ray bezeichnete sich selbst als Unternehmer und war fest davon überzeugt, dass seine Idee das Tankstellengewerbe revolutionieren würde. Die Idee hieß Selbstbedienung und bedeutete, dass der Kunde seinen dämlichen Tank selbst auffüllte, dafür aber genau dasselbe bezahlte wie an den Tankstellen mit normalem Service.
    Von dort unten im Abwasserkanal aus war kaum etwas von Calliphora zu sehen. Francis spähte den steilen Abhang hinauf und konnte gerade mal die Spitze des Fahnenmastes vor ihrer Tankstelle erkennen. Manche Leute behaupteten, die Fahne seines Vaters wäre die größte im ganzen Bundesstaat. Auf jeden Fall war sie groß genug, um das Führerhaus eines Neunachsers abzudecken, und so schwer, dass sie sich selbst bei starkem Wind kaum bewegte. Francis hatte erst einmal gesehen, wie sie sich aufgebläht hatte, und zwar in dem Sturm, der über Calliphora hinweggefegt war, nachdem sie »Die Bombe« gezündet hatten.
    Sein Vater erhielt viele Aufträge von der Armee, und wenn er dafür das Büro verlassen musste – etwa, um nach einem überhitzten Jeep zu sehen –, zog er die Drillichjacke über das T-Shirt. Auf der linken Brust hüpften und funkelten zahlreiche Medaillen. Keine einzige davon hatte er wirklich verliehen bekommen – er hatte sie beim Pfandleiher gekauft. Die Uniform jedoch gehörte ihm, sie war ein Mitbringsel aus dem Zweiten Weltkrieg.
    »In einem Land, das du gerade in Grund und Boden gebombt hast, gibt es so viele Mösen wie sonst nirgendwo«, hatte er einmal gesagt und dabei eine Dose Buckhorn gehoben, als wollte er jemandem zuprosten. An den Krieg erinnerte sich sein Vater gern.
    Francis quetschte sich in eine weiche Mulde zwischen einigen prall gefüllten Plastiktüten und wartete darauf, dass Streifenwagen auftauchen, Hubschrauber über ihn hinwegdröhnen würden. Doch es kamen keine Streifenwagen und auch keine Hubschrauber. Ein- oder zweimal ratterte ein Pick-up die unbefestigte Straße zwischen den Müllhaufen entlang, dann duckte er sich verängstigt, grub sich so tief in den Abfall, dass nur noch seine Fühler herausschauten. Aber das war alles. An diesem Ende der Mülldeponie war nicht viel los – die Verarbeitungsanlage, wo die eigentliche Arbeit getan wurde, war etwa eine halbe Meile entfernt.
    Nach einer Weile krabbelte er auf einen riesigen Abfallhaufen, um sich zu vergewissern, dass er nicht doch heimlich eingekreist worden war. Er entdeckte aber niemanden und blieb auch nicht lange dort oben. Der grelle Sonnenschein war ihm zuwider, schon nach kurzer Zeit überkam ihn eine starke Mattigkeit, als hätte man ihn mit Novokain vollgepumpt. Nicht weit entfernt, dort, wo der Abwasserkanal schmaler wurde, sah er einen Wohnwagen, der auf Betonklötzen stand. Er kletterte den Hügel hinunter und krabbelte darauf zu. Der Wohnwagen wirkte verlassen und war es auch. Unter ihm war es wunderbar kühl und schattig. Francis beschloss, sich erst einmal auszuruhen.
    Es war Eric Hickman, der ihn weckte. Eigentlich hatte Francis gar nicht richtig geschlafen, sondern war in einen Zustand intensiver Regungslosigkeit versunken, in dem er nichts dachte, aber trotzdem völlig wachsam war. Er hörte, wie Erics Füße über den Boden schlurften, und hob den Kopf. Im nachmittäglichen Sonnenlicht blinzelte Eric durch seine Brillengläser – er blinzelte unentwegt, beim Lesen oder auch nur, wenn er nachdachte.
    »Francis«, flüsterte Eric. Er hatte eine fettige braune Papiertüte in der Hand. Vermutlich war dort sein Mittagessen drin gewesen, und als Francis sie sah, wurde er wieder richtig hungrig. »Francis, bist du irgendwo da unten?«
    Francis hätte sich gerne gezeigt, doch das konnte er nicht riskieren. Gut möglich, dass Eric ihn nur hervorlocken wollte, während da draußen auf den Müllbergen Scharfschützen lauerten, die durch ihre Zielfernrohre die Gegend nach der riesigen Killerkakerlake absuchten. Also blieb er, wo er war, und behielt die Müllberge im Auge, ob sich da irgendwas bewegte. Eric war inzwischen aus seinem Blickfeld verschwunden. Eine Dose fiel klappernd herunter, aber es war nur eine Krähe.
    Schließlich musste er sich eingestehen, dass er übervorsichtig gewesen war. Eric war allein gekommen. Niemand sonst würde nach ihm suchen, weil niemand seinem Vater glauben würde, dass er in Francis’ Schlafzimmer ein riesiges Insekt entdeckt hatte, ein Insekt, das neben dem

Weitere Kostenlose Bücher