Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
Vom Netzwerk:
ausgeweideten Leichnam seines Sohnes kauerte. Buddy Ray konnte von Glück reden, wenn er nicht in einer grünen Minna landete, die ihn nach Tucson in die Klapse kutschierte. Schließlich war da kein Insekt. Und da war auch kein Leichnam und keine abgestreifte Haut – in dem milchigen Ausfluss, der aus Francis’ Hintern herausgeblubbert war, hatte sie sich bestimmt längst aufgelöst.
    Erst letztes Halloween war sein Vater stockbesoffen im Bezirksgefängnis gelandet, er konnte also kaum als glaubwürdiger Zeuge bezeichnet werden. Ella würde seine Geschichte vielleicht bestätigen, doch jeder wusste, dass sie immer mal wieder in der Redaktion der Calliphora Happenings anrief, um von Wolken zu berichten, die wie Jesus aussahen. Tatsächlich besaß sie ein ganzes Fotoalbum voller Wolken, die ihrer Meinung nach das Gesicht des Erlösers zeigten. Francis hatte einmal darin geblättert, und ihm waren keine religiösen Figuren aufgefallen, auch wenn er zugeben musste, dass eine der Wolken ein fetter Mann in einem Umhang gewesen sein könnte.
    Die örtliche Polizei würde natürlich nach ihm Ausschau halten, aber besonders viel Mühe würde sie sich dabei nicht geben. Er war achtzehn, konnte tun und lassen, was er wollte, und hatte oft genug ohne Entschuldigung in der Schule gefehlt. Calliphora hatte gerade mal vier Polizeibeamte: Sheriff George Walker und drei Teilzeitkräfte. Damit waren die Möglichkeiten, eine Suchmannschaft zusammenzustellen, recht eingeschränkt. Außerdem gab es eine Menge anderer Dinge, die man an einem so schönen, windstillen Tag tun konnte: etwa illegale Einwanderer schikanieren oder mit dem Radar auf Teenager warten, die auf ihrem Weg nach Phoenix vorbeirauschten. Ohnehin fiel es Francis zunehmend schwerer, sich Gedanken darüber zu machen, ob irgendjemand nach ihm suchte – er träumte wieder von Schokoriegeln. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so hungrig gewesen zu sein.
    Trotz des immer noch hellen, knallblauen Himmels schoben sich allmählich Schatten über den Abwasserkanal, und die Sonne rutschte hinter die roten Felsen im Westen. Francis kroch unter dem Wohnwagen hervor und durchsuchte den Müll. Zwischen zerknittertem Papier, kaputten Styroporbechern und zusammengedrückten Windeln entdeckte er schließlich einen dreckigen roten Lutscher. Er beugte sich vor und schob ihn sich umständlich in den Mund. Speichel tropfte in den Staub. Zunächst schmeckte er nichts als eine überwältigende Süße, spürte das Blut seinem Herzen entgegenrauschen. Doch plötzlich schien sein Rachen zuzuschwellen, und der Magen drehte sich ihm um. Angewidert spuckte er den Lutscher aus. Nicht besser erging es ihm mit den halb gegessenen Hühnerflügeln. Die wenigen Fetzen Fleisch und Fett, die noch daran hingen, schmeckten ranzig, und er musste würgen.
    Schmeißfliegen umsurrten den Abfallhaufen. Wütend starrte er sie an, überlegte, ob er sie sich schnappen sollte. Manche Insekten fraßen doch andere Insekten … Aber er wusste nicht, wie er sie ohne Hände fangen sollte, und er würde seinen quälenden Hunger auch kaum mit einem halben Dutzend Fliegen stillen können. Unvermittelt musste er an die kandierten Grillen und all die anderen Insekten denken, die er gegessen hatte – sie waren wohl dafür verantwortlich, dass das mit ihm passiert war. Und dann dachte er daran, wie die Sonne morgens um zwei aufgegangen und der Sturm in heißen Schüben über die Tankstelle hinweggefegt war, so heftig, dass der Putz von der Decke gerieselt war.
    Huey Chesters Vater Vern hatte einmal vor seinem Haus ein Kaninchen angefahren. Das Tier hatte unnatürlich rosafarbene Augen – vier Augen. Er nahm es mit in die Stadt, um damit anzugeben, aber kurz darauf tauchten ein Biologe und drei Soldaten mit Maschinenpistolen bei ihm auf und beschlagnahmten es. Vern bekam fünfhundert Dollar und musste einen Wisch unterschreiben, dass er nicht darüber reden würde. Ein anderes Mal, etwa eine Woche nach einem Test, war feuchter Nebel aufgezogen, der die gesamte Stadt einhüllte und entsetzlich nach Schinken roch. Er war so dicht, dass der Schulunterricht ausfiel und der Supermarkt und das Postamt geschlossen wurden. Eulen flatterten am helllichten Tag herum, und ein tiefes Dröhnen hallte ununterbrochen aus der wabernden, nassen Finsternis. Die Wissenschaftler dort draußen in der Wüste rissen Löcher in Himmel und Erde und vielleicht sogar in das Gewebe des Universums. Sie steckten Wolken in Brand.
    Francis wurde klar,

Weitere Kostenlose Bücher