Black Box
Stelle zwischen zwei Rippen, und Max schaute der Toten ins Gesicht. Ihr Mund stand offen, als wollte sie sagen: »Spielst du jetzt den Doktor, Max Van Helsing?«
»Hier«, sagte sein Vater und schloss Max’ Finger um einen der Pflöcke. »Hier musst du ihn hineintreiben. Bis zum Heft. Bei einem echten Vampir folgen auf den ersten Schlag ein entsetzliches Geheul und gotteslästerliche Flüche. Dann zappeln sie und wollen fliehen. Die Verdammten sterben nie leicht. Drück sie nieder. Lass dich nicht von deinem Werk ablenken, bis der Pflock ganz drin ist und sie aufgehört haben, sich zu wehren. Allzu lange dauert das nicht.«
Max hob den Hammer. Er betrachtete ihr Gesicht und wünschte, er könnte ihr sagen, wie leid es ihm tue und dass er das nicht tun wolle. Als er zuschlug, krachte es laut, und ein hoher, durchdringender Schrei ertönte. Fast hätte er selbst aufgeschrien, für einen Moment glaubte er nämlich, sie sei erwacht und noch am Leben. Dann begriff er, dass es Rudi war, der da schrie.
Max war kräftig gebaut – er hatte einen breiten Brustkasten und Schultern, die einem skandinavischen Bauern gehören könnten. Mit dem ersten Schlag hatte er den Pflock zu zwei Dritteln hineingetrieben. Er musste nur noch einmal zuschlagen. Kaltes, klebriges Blut quoll aus der Brust heraus.
Max war ein wenig benommen und schwankte leicht. Sein Vater fasste ihn am Arm.
» Goed « , flüsterte er ihm ins Ohr und drückte ihn so fest an sich, dass seine Rippen knackten. Max verspürte ein schwaches Glücksgefühl – eine automatische Reaktion auf die heftige, unverkennbare Zuneigung, die sein Vater erkennen ließ. Gleichzeitig war er aber auch davon angewidert. »Dem Gefäß des menschlichen Geistes Gewalt anzutun, selbst wenn es verlassen ist, ist keine leichte Sache, das weiß ich wohl.«
Sein Vater hielt ihn im Arm. Max starrte auf Mrs. Kutchners offenen Mund, die zerbrechliche Reihe ihrer Zähne, und musste an das Mädchen auf der alten Fotografie denken, an den Knoblauchknollen, der ihr in den Mund gedrückt worden war.
»Wo sind ihre Reißzähne?«, fragte er.
»Hm? Was?«
»Auf der Fotografie der Frau, die du getötet hast«, sagte Max und wandte sich zu seinem Vater um. »Sie hatte ganz normale Zähne.«
Sein Vater starrte ihn verständnislos an. Dann sagte er: »Sie verschwinden, wenn der Vampir tot ist. Puff .«
Er ließ ihn los, und Max konnte wieder normal atmen. Ihr Vater straffte sich.
»Eine Sache ist noch zu tun«, sagte er. »Ihr muss der Kopf abgetrennt und Knoblauch in den Mund gestopft werden. Rudolf!«
Max wandte sich langsam um. Sein Vater war einen Schritt zurückgetreten. In einer Hand hielt er ein Beil – Max hatte nicht gesehen, woher er es hatte. Rudi stand auf der Treppe, drei Stufen weit oben. Er drückte sich an die Wand und hatte das linke Handgelenk in den Mund geschoben, um nicht noch einmal zu schreien. Verzweifelt schüttelte er den Kopf hin und her.
Max streckte die Hand nach dem Beil aus und packte es am Griff. »Ich tue es.« Er wusste, dass er das konnte. Er begriff, dass er schon immer dazu bereit gewesen war: Wie sein Vater war er dazu in der Lage, Haut aufzuschlitzen und in Blut zu waten. Voller Bestürzung sah er seine Zukunft vor sich.
»Nein«, sagte sein Vater und riss ihm das Beil aus der Hand. Max stieß gegen die Werkbank, und ein paar Pflöcke fielen klappernd herunter. »Heb sie auf.«
Rudi sprang herbei, rutschte jedoch aus, fiel vornüber und schlug sich die Knie auf. Sein Vater packte ihn am Haar, zerrte ihn herum und schleuderte ihn zu Boden. Rudi fiel bäuchlings in den Dreck. Er drehte sich um, und als er etwas sagte, war seine Stimme nicht mehr wiederzuerkennen.
» Bitte! « , schrie er. » Bitte nicht! Ich hab Angst. Bitte, Vater, zwing mich nicht. «
Den Hammer in der Hand, ein halbes Dutzend Pflöcke in der anderen, trat Max vor. Er wollte eingreifen, aber sein Vater fuhr herum, packte ihn am Ellenbogen und stieß ihn in Richtung Treppe.
»Hinauf. Sofort.« Mit diesen Worten versetzte er ihm einen weiteren Stoß.
Max fiel auf die Stufen und schürfte sich das Schienbein auf.
Ihr Vater wollte Rudi beim Arm packen, aber Rudi entwand sich ihm und flüchtete auf allen vieren in eine Ecke des Kellers.
»Komm schon. Ich helf dir auch«, sagte ihr Vater. »Ihr Hals ist spröde. Das dauert nicht lang.«
Rudi schüttelte den Kopf und verkroch sich noch tiefer in der Ecke neben dem Kohlenkasten.
Sein Vater schleuderte das Beil in den Dreck. »Dann
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