Black Box
brüllt er weiter – Spucke fliegt, Tränen schießen ihm in die Augen. Inzwischen hat der Bat Boy die Jacke meines Vaters aufgehoben und steht damit vor den Stufen oberhalb der Spielerbank. Aber er traut sich nicht näher ran, und Dad muss zu ihm hochsteigen und ihm die Jacke aus den Händen reißen. Er ruft noch ein paar Nettigkeiten aufs Feld, zieht sich die Jacke falsch herum an, so dass das Etikett im Nacken absteht – und verschwindet dann endgültig.
Ich atme aus, werde mir jetzt erst bewusst, dass ich die ganze Zeit die Luft angehalten habe.
»Kein schlechter Auftritt«, bemerkt meine Tante.
»Zeit für’s Bad, Kumpel.« Meine Mutter tritt hinter mich und fährt mir durchs Haar. »Der beste Teil des Spiels ist vorbei.«
In meinem Zimmer ziehe ich mich bis auf die Unterwäsche aus. Dann schlendere ich den Flur entlang Richtung Bad, doch als das Telefon klingelt, biege ich ab ins Schlafzimmer meiner Eltern, lasse mich bäuchlings auf das Bett fallen und schnappe mir den Hörer.
»Feltz.«
»Hallo, Homer«, sagt mein Vater. »Ich hab grad einen Moment Zeit. Dachte mir, ich ruf dich mal an und sag Gute Nacht. Guckst du das Spiel?«
»M-hm.« Ich schlucke Speichel hinunter. Natürlich will ich nicht, dass er das hört, aber er hört’s trotzdem.
»Alles klar mit dir?«
»Mein Mund. Ich kann einfach nichts dagegen tun.«
»Regst du dich wieder auf?«
»Nein.«
»Mit wem sprichst du, Schatz?«, ruft meine Mutter.
»Dad!«
»Was meinst du – hat er seinen Schlag unterbrochen?«, fragt mein Vater.
»Erst war ich mir nicht sicher, ob er den Ball wirklich geschlagen hat, aber in der Zeitlupe sah’s dann ganz danach aus.«
»Verdammter Mist!«
In diesem Moment nimmt meine Mutter in der Küche den Hörer ab. »Wie schön, der Sportler des Jahres ruft an.«
»Na, wie läuft’s?«, erwidert mein Vater. »Ich hatte gerade einen Moment Zeit, und da dachte ich mir, ich könnte dem Jungen noch Gute Nacht sagen.«
»Soweit ich das mitbekommen habe, hast du heute den Rest des Abends Zeit.«
»Ich werd jetzt nicht behaupten, ich hätt mich angemessen verhalten.«
»Eher unangemessen, würde ich sagen, aber auf jeden Fall sehr inspirierend. Das war einer jener seltenen Momente im Baseball, die sich für immer ins Gedächtnis eingraben. So wie ein toller Home Run, oder wenn man hört, wie der Ball nach dem dritten Schlag mit einem satten Klatschen im Handschuh des Catchers landet. Es ist wirklich ein Erlebnis, wenn Ernie Feltz den Schiedsrichter als Arschkriecher beschimpft und danach in einer Zwangsjacke vom Spielfeld geschleppt wird.«
»Schon gut. Hat wohl ziemlich schlimm ausgesehen.«
»Du wirst noch ein wenig daran arbeiten müssen.«
»Verdammt, tut mir leid! Wirklich – es tut mir leid.« Er schweigt einen Moment. »Aber eins musst du mir verraten.«
»Was denn?«
»Hast du die Zeitlupe gesehen? Hat er denn nun geschlagen oder nicht?«
Dass mir immer wieder die Spucke aus dem Mundwinkel läuft, wenn ich angespannt bin, ist nicht das einzige Problem, mit dem ich zu kämpfen habe, sondern nur das sichtbarste. Deshalb gehe ich auch zweimal im Monat zu Dr. Faber. Wir sprechen dann ausführlich darüber, wie ich mit Stresssituationen klarkommen kann. Und davon gibt es eine ganze Menge. Wenn ich höre, wie jemand Alufolie zusammenknüllt, spüre ich einen durchdringenden Schmerz von den Zähnen bis hinauf ins Trommelfell. Außerdem kann ich es nicht ertragen, wenn der Videorekorder zurückspult – das pfeifende Geräusch ist mir so zuwider, dass ich auf der Stelle aus dem Zimmer muss. Ganz zu schweigen von dem Geruch frischer Farbe oder einem Leuchtstift ohne Deckel.
Auch wenn das alle eklig finden, muss ich immer mein Essen auseinandernehmen, um es auf seine Bestandteile zu überprüfen. Hamburger vor allem. Einmal habe ich eine Fernsehsendung darüber gesehen, was passieren kann, wenn man einen Hamburger erwischt, der schlecht ist, und das hat mich ziemlich mitgenommen. Escherichia-Coli-Bakterien waren da zu sehen, und Kühe mit Rinderwahnsinn, die ihren Kopf hin und her warfen und brüllend im Stall herumtaumelten. Wenn wir bei Wendy’s Hamburger holen, muss mein Vater immer meinen auswickeln. Dann nehme ich ihn auseinander, werfe das Gemüse weg, das mir verdächtig erscheint, und rieche an allem, um mich zu vergewissern, dass nichts verdorben ist. Schon zweimal habe ich einen Hamburger erwischt, der schlecht war, und mich geweigert, ihn zu essen. Beide Male haben meine Mutter und ich
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