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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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»Ich werde schon auf dich aufpassen.«
    Rudi nahm die Laterne und ließ Max den Vortritt. In der bedrückenden Düsternis warf das rötliche Licht der Laterne zuckende Schatten, die an den Wänden des Treppenhauses hin und her tanzten. Max stieg in den Keller hinunter und sah sich vorsichtig um. Links von der Treppe stand eine Werkbank. Darauf lag etwas, das von einer schmutzigen weißen Plane bedeckt war – ein Haufen Ziegel vielleicht oder ein Stapel zusammengelegte Wäsche. In der Dunkelheit war das nur schwer zu erkennen. Max ging langsam, mit zögernden Schritten zum Tisch hinüber, doch auf halbem Weg blieb er plötzlich stehen, denn er hatte begriffen, was unter der Plane verborgen war.
    »Wir müssen von hier verschwinden«, sagte Rudi mit hoher Stimme. Er stand dicht hinter seinem Bruder. Max hatte ihn nicht herankommen hören, sondern geglaubt, er wäre noch auf der Treppe. »So schnell wie möglich.« Und Max wusste auf einmal, dass er nicht nur den Keller meinte, sondern das Haus, in dem sie seit zehn Jahren lebten – dass sie von hier wegmussten, ohne zurückzukehren.
    Aber es war zu spät, so zu tun, als wären sie Huck und Jim und könnten sich einfach so auf und davon machen. Die schweren Schritte ihres Vaters waren auf den staubigen Holzdielen hinter ihnen zu hören. Max blickte die Treppe zu ihm hinauf. Er hatte seine Arzttasche in der Hand.
    »So wie ihr mein Arbeitszimmer durchwühlt habt«, sagte er, »kann ich nur schlussfolgern, dass ihr euch wirklich für das interessiert, was mich umtreibt und wofür ich so viel geopfert hab. Sechs Untote hab ich inzwischen eigenhändig getötet, zuletzt die kranke Hexe auf dem Bild in meinem Arbeitszimmer – ihr habt es wohl beide gesehen.« Rudi warf Max einen bestürzten Blick zu, aber der schüttelte nur den Kopf, sei still. Ihr Vater fuhr fort: »Ich hab anderen gezeigt, wie man den Vampiren beikommt, darunter dem unseeligen ersten Gatten eurer Mutter, Jonathan Harker, Gott sei seiner Seele gnädig. Alles in allem hab ich wohl fünfzig dieser Ungeheuer den Garaus gemacht. Und jetzt scheint mir die Zeit reif zu sein, dass meine Kinder lernen, wie das vonstattengeht. Um ganz sicher zu sein. Damit ihr wisst, wie ihr euch gegen die wehren könnt, die es auf euch abgesehen haben.«
    »Das will ich gar nicht wissen«, sagte Rudi.
    »Er hat das Bild nicht gesehen«, sagte Max gleichzeitig.
    Ihr Vater schien sie beide nicht zu hören. Er ging an ihnen vorbei zur Werkbank, zu der Gestalt unter der Plane. Als er die Plane an einer Ecke hochhob, brummte er zufrieden und zog sie dann ganz weg.
    Mrs. Kutchner war nackt und mit ihren eingefallenen Wangen und der schwarzen Mundhöhle entsetzlich faltig. Unterhalb ihrer Rippen wölbte sich ihr Bauch nach innen, als wäre er von einem Vakuum leer gesaugt worden. Ihr Rücken war tiefblau von dem Blut, das sich dort abgesetzt hatte. Rudi stöhnte laut und presste sein Gesicht an Max’ Schulter.
    Ihr Vater stellte seine Arzttasche neben den Leichnam und öffnete sie.
    »Sie ist natürlich nicht untot. Sondern einfach nur tot. Echter Vampirismus ist ausgesprochen selten, und es wäre nicht zweckmäßig oder ratsam, euch dem jetzt schon auszusetzen. Mrs. Kutchner genügt jedenfalls, um euch alles Nötige zu zeigen.« Er holte das Bündel mit den in Samt eingeschlagenen Pflöcken aus der Tasche.
    »Warum ist sie hier?«, fragte Max. »Sie soll doch morgen begraben werden.«
    »Aber heute werde ich eine Autopsie an ihr vornehmen. Mr. Kutchner hat dem natürlich zugestimmt, wenn wir damit verhindern können, dass eine andere Frau auf dieselbe Weise stirbt.« In der einen Hand hielt er einen Pflock, in der anderen einen Holzhammer.
    Rudi fing an zu weinen.
    Max hatte das Gefühl, das er den Boden unter den Füßen verlor. Sein Körper trat einen Schritt vor, ohne dass er etwas dazutat. Ein Teil von ihm blieb neben Rudi stehen, einen Arm um die bebenden Schultern seines Bruders gelegt. Rudi sagte: »Bitte, ich möchte nach oben gehen«. Max sah sich selbst dabei zu, wie er schwerfällig zu seinem Vater hinüberschritt, der ihn einerseits neugierig, andererseits mit einer gewissen Wertschätzung ansah.
    Er reichte Max den Holzhammer, und das riss ihn aus seiner Benommenheit. Jetzt befand er sich wieder in seinem eigenen Körper und spürte, wie schwer der Hammer in seiner Hand wog. Sein Vater nahm Max’ andere Hand, hob sie an und führte sie zu Mrs. Kutchners mageren Brüsten. Er drückte Max’ Fingerspitzen auf eine

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