Black Dagger 04 - Bruderkrieg
sie hatte auch keine Angst davor.
Die Madonnenstatue im Zimmer ihrer Mutter war etwas anderes gewesen. Mary hatte sie verabscheut, und sobald man Cissy Luces Leiche aus dem Haus gebracht hatte, war der Gipsklumpen in die Garage gewandert. Ihn kaputtzuschlagen hatte Mary nicht übers Herz gebracht, aber eigentlich hatte sie sich gewünscht, die Kraft zu besitzen, das Ding mit dem Hammer zu bearbeiten.
Stattdessen hatte sie die Statue am nächsten Morgen in die Kirche Unserer lieben Frau gebracht, genauso wie das Kruzifix. Triumphierend war sie vom Parkplatz der Kirche heruntergefahren; sie hatte Gott symbolisch den Stinkefinger gezeigt, und es war ein berauschendes Gefühl gewesen,
das einzige, das sie seit langer Zeit empfunden hatte. Das Hochgefühl hatte allerdings nicht lange vorgehalten. Zurück im Haus war da der Schatten des Kreuzes an der Wand gewesen, und den staubfreien Fleck auf dem Fußboden, wo vorher die Statue gestanden hatte, konnte sie nicht übersehen.
Auf den Tag genau zwei Jahre nach diesem Tag hatte man bei ihr Leukämie diagnostiziert.
Rational wusste sie, dass kein Fluch auf ihr lastete, weil sie Kreuz und Madonna weggebracht hatte. Das Jahr hatte 365 Tage, und wie beim Roulette hatte die Verkündung ihrer Krankheit auf einem davon landen müssen. Im Herzen aber glaubte sie manchmal, dass es anders war. Weswegen sie Gott noch mehr verachtete.
Zum Teufel … Er hatte nicht mal die Zeit gefunden, ein Wunder an ihrer Mutter zu vollbringen, die doch so gläubig gewesen war. Aber die Mühe, eine Sünderin wie sie zu bestrafen, machte er sich schon. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.
»Du tust mir gut«, sagte Rhage.
Überrascht sah sie ihn an. Um den Kopf wieder frei zu bekommen, ergriff sie seine Hand. »Wie geht es dir?«
»Besser. Deine Stimme beruhigt mich.«
Bei ihrer Mutter war es genauso gewesen, dachte sie. Ihre Mutter hatte ihr auch gern zugehört.
»Willst du was trinken?«, fragte sie.
»Woran hast du gerade gedacht?«
»An nichts.«
Er schloss die Augen.
»Soll ich dich waschen?«, schlug sie vor.
Als er die Achseln zuckte, ging sie ins Badezimmer und kam mit einem warmen, feuchten Waschlappen und einem trockenen Badetuch zurück. Sanft reinigte sie sein Gesicht und seine Haut um die Verbände herum.
»Ich nehme die mal ab, ja?«
Er nickte, und sie zupfte vorsichtig die Heftpflaster von seiner Haut. Dann nahm sie den Mull und die Watte ab.
Mary erschauerte, als sie sah, was darunter war, und die Galle stieg ihr hoch.
Er war ausgepeitscht worden. Das war die einzige Erklärung für diese Wunden.
»O … Rhage.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch sie bemühte sich, sie wegzublinzeln. »Ich wechsle nur schnell den Verband. Die Haut ist noch zu … empfindlich, um sie zu waschen. Hast du –«
»Badezimmer. Im Schrank rechts neben dem Spiegel.«
Fassungslos stand sie vor seiner Hausapotheke. Operationsbesteck. Gipsverbände. Bandagen aller Art. Pflaster. Sie nahm, was sie gebrauchen konnte und ging zu ihm zurück. Sie legte ihm die sterilen Mullverbände auf die Brust und den Bauch, denn es war völlig aussichtslos, ihn hochheben zu wollen, um ihm einen Verband um den Rücken zu wickeln.
Als sie den linken unteren Verband leicht festdrückte, zuckte Rhage zusammen. Sie sah ihn an. »Hab ich dir wehgetan ?«
»Komische Frage.«
»Wie bitte?«
Seine Lider klappten auf, sein Blick war hart. »Du hast überhaupt keine Ahnung, oder?«
Offenbar nicht. »Rhage, was ist los? Was soll ich tun?«
»Mit mir sprechen.«
»Gut. Nur lass mich das hier erst zu Ende bringen.«
Sobald sie fertig war, schlug sie das Buch wieder auf. Sie wollte gerade zu lesen beginnen, als er fluchte.
Verwirrt griff sie nach seiner Hand. »Ich weiß nicht, was du von mir willst.«
»So schwer ist es nun auch wieder nicht.« Seine Stimme
klang schwach, aber aufgebracht. »Verdammt, Mary, kannst du mich nicht wenigstens einmal teilhaben lassen?«
Es klopfte an der Tür. Beide starrten sie zornig in die Richtung, aus der das Klopfen kam.
»Ich bin gleich wieder da.«
Als sie die Tür öffnete, stand der Mann mit dem Bärtchen davor. Er balancierte mit einer Hand ein silbernes Tablett, auf dem sich Essen türmte.
»Ich bin übrigens Vishous. Ist er wach?«
»Hey, V«, kam es aus Rhages Ecke.
Vishous marschierte einfach an ihr vorbei und stellte das Tablett auf dem Nachttisch ab. In diesem Augenblick wünschte sich Mary, sie wäre so groß wie er, um ihn aus dem Raum
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