Black Dagger 11 - Blutlinien
Er hätte ihr auch etwas schenken sollen.
Er räusperte sich. »Entschuldige, dass ich nicht reagiert habe.«
Amalya richtete sich wieder auf. »Das liegt allein in Eurer Entscheidung. Bitte, sorgt Euch nicht.«
In dem langen Schweigen, das nun folgte, las er die Frage in den gütigen Augen der Directrix. »Nein, es ist noch nicht geschehen.«
Ihre Schultern sackten herab. »Hat sie Euch abgewiesen?«
Er musste wieder an den Fußboden vor seiner Chaiselongue denken. Er war derjenige gewesen, der einen Rückzieher gemacht hatte. »Nein. Es lag an mir.«
»Nichts kann je Eure Schuld sein.«
»Falsch. Das kannst du mir wirklich glauben.«
Die Directrix lief auf und ab, ihre Hände nestelten an dem Amulett, das sie um ihren Hals trug. Es glich seinem aufs Haar, nur dass ihres an einem weißen Seidenband hing.
Am Bettpodest verharrte sie, die Finger strichen zart über ein Kissen. »Ich dachte, Ihr würdet vielleicht gern einige der anderen kennenlernen.«
Auf gar keinen Fall. Er würde Cormia nicht übergehen und sich eine andere als Erste Partnerin nehmen. »Ich kann mir denken, worauf das hinausläuft, aber es liegt nicht daran, dass ich sie nicht will.«
»Vielleicht solltet Ihr dennoch eine andere treffen.«
Noch deutlicher konnte die Directrix kein Machtwort
sprechen und von ihm verlangen, entweder Sex mit Cormia zu haben oder sich eine andere Erste Partnerin zu suchen. Überrascht war er nicht gerade; es waren fünf lange Monate vergangen.
Vielleicht würde es ja sogar einige Probleme lösen. Das Schlimme daran war nur, dass die Wahl einer anderen Partnerin gleichbedeutend damit wäre, Cormia mit einem Fluch zu belegen. Die Auserwählten würden es ihr als Versagen anrechnen, und sie würde es ebenso empfinden, obwohl das überhaupt nicht der Wahrheit entsprach.
»Wie schon gesagt, ich bin zufrieden mit Cormia.«
»Sehr wohl … doch würde es Euch möglicherweise leichter fallen, wenn es eine andere aus unserer Mitte wäre? Layla beispielsweise ist besonders hold von Antlitz und Gestalt, und sie wurde zur Ehros ausgebildet.«
»Das werde ich Cormia nicht antun. Es würde sie umbringen. «
»Euer Gnaden … sie leidet jetzt. Ich sah es in ihren Augen. « Die Directrix schwebte zu ihm herüber. »Und überdies sind wir anderen in unserer Tradition gefangen. Wir hegten solch große Hoffnungen, dass wir wieder zu dem zurückkehren würden, was wir seit eh und je waren. Würdet Ihr eine andere Partnerin wählen und das Ritual vollziehen, würdet Ihr uns alle von der Last der Nutzlosigkeit erlösen – und das gilt auch für Cormia. Sie ist nicht glücklich, Euer Gnaden. Genauso wenig, wie Ihr es seid.«
Wieder musste er daran denken, wie sie auf diesem Bett festgebunden gewesen war … Sie hatte diese ganze Sache von Anfang an nicht gewollt.
Und nun lebte sie so still im Haus der Bruderschaft. Hatte nicht einmal genug Vertrauen zu ihm, um ihm zu sagen, dass sie sich nähren musste. Hatte ihm nichts von ihrem Geburtstag erzählt. Nichts davon, dass sie gern einmal nach
draußen in den Garten wollte. Nichts von diesen Architekturmodellen in ihrem Zimmer.
Ein einziger Spaziergang über den Flur mit den Statuen konnte nicht all das wiedergutmachen, was er ihr zugemutet hatte.
»Wir sitzen in der Falle, Euer Gnaden«, sagte die Directrix. »Im Augenblick sitzen wir alle in der Falle.«
Was, wenn er nur an Cormia festhielt, weil er sich keine Gedanken um die ganze Sex-Sache machen musste, solange sie seine Erste Partnerin war? Sicherlich, er wollte sie beschützen und sie anständig behandeln, und das waren ehrbare Wahrheiten; doch die Konsequenz daraus war, dass er auch selbst geschützt wurde.
Es gab Auserwählte, die es wollten – die ihn wollten. Er hatte ihre Blicke auf sich gespürt, als er seinen Eid geleistet hatte.
Er hatte sein Wort gegeben. Und er hatte es langsam satt, Schwüre zu brechen, die er abgelegt hatte.
»Euer Gnaden, darf ich Euch bitten, mit mir zu kommen? Ich würde Euch gern einen Ort hier im Heiligtum zeigen.«
Er folgte Amalya aus dem Primals-Tempel hinaus, und schweigend liefen sie beide den Hügel hinab auf eine Ansammlung vierstöckiger weißer Gebäude mit Säulen zu.
»Das sind die Quartiere der Auserwählten«, murmelte sie, »doch das ist nicht unser Ziel.«
Gott sei Dank, dachte er mit einem Seitenblick.
Im Vorbeigehen fiel ihm auf, dass sich in keinem der Fenster eine Scheibe befand; wahrscheinlich war das überflüssig. Es gab keine Tiere, kein Ungeziefer …
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