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Black Mandel

Black Mandel

Titel: Black Mandel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berni Mayer
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Feuerwehrauto vor dem Haupteingang parken. Der Mandel stand unentschuldigt auf und verließ den Gemeinschaftsraum. Wenige Minuten später war er wieder mit seinem Laptop zurück. Und er war online.
    »Was machst du denn da?«, fragte ich.
    »Ich lese den Artikel im Netz auf Englisch.«
    »Und?«
    »Ist nicht viel kaputtgegangen. Jemand ist eingebrochen und hat ein kleines Feuer gelegt. Es ging von selbst wieder aus. Das war in der Nacht vom Dark-Reich-Konzert.«
    »Aha«, sagte ich.
    »Hier steht auch, dass das Konzert recht blutig gewesen sein muss. Der Sänger hat sich wohl absichtlich mit einem Messer verletzt oder es zumindest so aussehen lassen. Die gekreuzigten Jungfrauen durften sie übrigens auf polizeiliche Anordnung hin gar nicht erst auf die Bühne bringen. Da bist du jetzt erleichtert, dass du nichts verpasst hast, oder?«, sagte der Mandel und klopfte mir altväterlich auf die Schulter.
    »Wie lange willst du denn noch in Bergen bleiben?«, wiederholte ich meine ursprüngliche Frage.
    »Vielleicht zwei, drei Wochen«, sagte der Mandel.
    »Wie bitte? Zwei, drei Wochen? Und was soll ich in der Zeit machen?«
    Mein Telefon klingelte, es war Maria. Ich drückte sie weg wegen den Roaming-Kosten.
    »Ich mach dir einen Vorschlag«, sagte der Mandel. »Wir bleiben noch bis Samstag in dem Hostel hier. Wenn’s dir dann reicht, kannst du das Auto haben und nach Hause fahren.«
    »Und du?«
    »Ich kann noch bei Vilde bleiben und dann irgendwann den Bus zurück nehmen.«
    »Und was machen wir den Rest der Woche?«, fragte ich.
    »Zum Beispiel könnten wir jetzt gleich einen Ausflug zu der Stabkirche machen«, schlug der Mandel vor.
    »Regnet es nicht?«, fragte ich.
    »Hier regnet es immer. Die Norweger haben eine eigene Vokabel für Tage, an denen es nicht regnet. Oppholdsvær , das Aufhörwetter. Hat mir Vilde heute Morgen erzählt. Zieh dir was Wetterfestes an.«
    »Ja, Mama«, sagte ich.
    Wir gingen zu Fuß, denn es waren nur ein paar Meter bis zur Stabkirche, sagte der Mandel. Er hatte seine Seewolfjacke an und ich den Parka mit dem Innenfutter. Der Mandel benutzte einen Regenschirm, und ich setzte die Kapuze auf. Wir liefen an ein paar merkwürdig in die Hügel hineingestellten Wohnanlagen aus grauem Beton vorbei, die im Gegensatz zum wohltemperierten Rest der Stadt wie Ausläufer einer Favela wirkten. Nach einem Parkhaus stießen wir auf einen Parkplatz mit Reisebussen. Dahinter verlief die Straße noch ein paar Meter weiter, bis sie plötzlich inmitten einer Kurve abriss und in eine Wiese mündete. Wir folgten ein paar Touristen, die in einem kleinen Wald verschwanden.
    Die Stabkirche Fantoft war eine Schau. Auf den ersten Blick sah sie aus, als hätte man ein Wikingerschiff mit dem Hinterteil zuerst in den Boden gerammt, und jetzt ragte der Bug in den Himmel. Die Kirche bestand aus verschiedenen Dächern, eins schachtelte sich über das nächste, wie in einem Bausatz aufeinandergesteckt. Die hölzerne Außenhaut bestand aus dreieckigen Schuppen, die wie spitze Zähne aussahen. Es gab ein paar Kreuze, aber die waren nicht als Blickfang auf dem obersten Dach angebracht, sondern saßen unscheinbar auf den Pultdächern darunter. Auf dem höchsten und spitzesten Dach richtete sich eine Art Lanze steil gen Himmel und wurde flankiert von vier züngelnden Drachenköpfen, was die allergrößte Ähnlichkeit mit den Drachenschiffen der Wikinger hervorrief. Heidnischer konnte eine christliche Kirche gar nicht aussehen. Das Drachenschiff deutete nach oben, in die endlose Ansammlung grauer Wolkenheere, worin sich auch mein Blick verlor, bis der Mandel anfing zu reden.
    »Die ist komplett neu aufgebaut worden«, sagte er.
    »Sieht man gar nicht«, sagte ich.
    »Die Kirche ist ein einziger historischer Treppenwitz«, sagte der Mandel, der Kulturwissenschaftler.
    »Warum?«
    »Ursprünglich ist sie angeblich im dreizehnten Jahrhundert als frühchristliche Kirche auf einem heidnischen Opferstein errichtet worden. Danach geriet sie lange in Vergessenheit, weil die Pest ihre Klientel hinweggerafft hatte. Im neunzehnten Jahrhundert hat man sie mit privaten Mitteln aus einer völlig anderen Provinz hierher versetzt, obwohl man sie eigentlich schon niederbrennen wollte.«
    »Niederbrennen? Wer wollte sie denn niederbrennen?«
    »Die Landeskirche selbst. Weil es damals ein neues Gesetz gab, das besagte, dass die Kirchen mindestens dreißig Prozent der Gemeinde beherbergen können müssen. Nachdem die Kirche hier wiederaufgebaut

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