Black Mandel
nehmen.
»Bist du dir da sicher?«, fragte ich.
Vilde nickte erneut und suchte nach einem Taschentuch in ihrer Handtasche.
»Vielleicht ist das eine Fälschung«, sagte ich.
»Eben. Heutzutage kann man doch alles mit Photoshop fälschen«, bekräftigte der Mandel, der besessen von der Idee war, dass heutzutage alle publizierten Fotos mit Photoshop manipuliert waren. Es gibt heute keine echten Fotos mehr, sagt er.
»Oder ein Doppelgänger?«, fragte ich und erschauerte leicht, weil ich an die Klassenfahrt in den späten Achtzigern denken musste, bei der mir auf dem Breitscheidplatz mein eigener Doppelgänger über den Weg gelaufen war. Ich hatte ihn zuerst gar nicht gesehen, aber dann hatte der Köslinger gesagt: »Schau, da bist du, Sigi.«
Vilde sah mich tränenverhangen an.
»Ich erkenne meinen Bruder«, sagte sie.
»Warst du schon bei der Polizei?«, fragte ich, weil man das immer fragt, wenn Leute denken, dass andere Leute spurlos verschwunden sind.
»Die Polizei war heute früh in Cristians Wohnung wegen dem Brand in der Mariakirken. Sie vermuten einen Zusammenhang mit dem Konzert. Cristian ist doch vorbestraft, wegen seinen Aktionen auf der Bühne früher. Dann haben sie auch bei mir angerufen.«
»Hast du der Polizei die Website gezeigt?«, fragte der Mandel.
»Nein, die habe ich erst danach gesehen.«
»Kennst du diese Band? Wer sind Utgang?«, fragte der Mandel.
»Keine Ahnung«, sagte Vilde. »Soweit ich weiß, gibt es nur diese Website. Keine Liveauftritte, keine Plattenfirma, kein Management. Ich habe rumgefragt, aber niemand kennt die Mitglieder.«
»Wir könnten Sascha die Website zeigen. Der kann sicher herausfinden, wer der Betreiber ist«, schlug ich vor.
»Wer ist Sascha?«, fragte Vilde.
»Ein Hacker aus Brandenburg«, erklärte ich.
»Er ist ein Computerexperte, der für uns arbeitet«, sagte der Mandel.
»Würdet ihr das machen?«, sagte Vilde und gab dem Mandel einen Kuss auf die Stirn, was ihr nicht schwerfiel, denn sie war einen halben Kopf größer als er.
»Und wir können dir suchen helfen, falls er nicht bald wieder auftaucht«, sagte der Mandel.
»Wirklich? Ich kann euch auch etwas bezahlen, wenn ihr wollt«, sagte Vilde.
»Wir wollen kein Geld«, sagte der Mandel, ohne mich zu fragen. Immerhin spielte das in unseren Geschäftsbereich als Detektei hinein, und da hatte der Mandel gar nichts allein zu entscheiden. Obwohl ich preislich bei Vilde auch ein Auge zugedrückt hätte.
»Allerdings wäre eine Art Arbeitsplatz in der Innenstadt nicht schlecht«, stellte ich wenigstens eine Bedingung.
»Ich kann euch einen Schreibtisch direkt bei mir um die Ecke organisieren, wo ihr jede Menge Platz zum Recherchieren habt«, sagte Vilde. »Eine Art Büro.«
6: MASSAKRE
»Das ist Skull«, sagte Vilde und deutete in Richtung eines hageren Menschen mit langen schütteren Haaren und einem ungepflegten Vollbart. Seine Augen lagen so tief im Schädel, dass man sie am liebsten eigenhändig herausgefingert hätte.
»Skull wie Prost oder wie Totenkopf?«, fragte ich.
»Skull wie Dødninghode«, sagte Skull, das weiß ich noch genau, weil ich es damals so lustig fand. Das heißt Totenkopf auf Norwegisch, falls wer fragt.
»Skull gehört das Massakre. Der bekannteste Plattenladen in Bergen«, sagte Vilde.
Wir waren mit dem Ford Focus zurück in die Innenstadt gefahren und hatten wieder an dem Container geparkt. Vilde war mit uns zum Massakre gelaufen.
»Ich habe erst ab Nachmittag geöffnet«, sagte Skull. Er sprach Englisch mit einem starken Akzent.
»Ich bin Max Mandel, und das ist mein Kollege Sigfried Singer.«
»Sigfried«, wiederholte Skull. »Der verfickte Drachentöter.«
Fuckin’ dragonslayer.
Er lächelte ein gelbzahniges Lächeln, und ich lächelte zurück, weil ich selten positive Rückmeldung auf meinen Vornamen erfuhr. Vor allem in Zusammenhang mit der aufdringlichen Alliteration, die ich meinen Eltern für immer übel nehmen werde. Sigfried allein wäre ja schon blöd genug gewesen.
»Die beiden sind private Ermittler aus Deutschland und helfen mir. Ich hab mir gedacht, sie könnten das Hinterzimmer als Büro benutzen«, sagte Vilde.
»Ermittler? Die beiden Vögel? Wobei denn helfen?«, fragte Skull, und seine Begeisterung für mich und meinen Namen schien verflogen zu sein.
»Mein Bruder ist verschwunden«, sagte Vilde.
»Fuck«, sagte Skull, und das muss ich ja nicht übersetzen.
»Skull ist einer von Cristians besten Freunden«, sagte Vilde fast
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