Black Mandel
herunterladen. Das ging wahnsinnig schnell – unglaublich, wie zügig hier in Norwegen das Internet war. Ich hatte einen kleinen Kopfhörer in meiner Tasche und steckte ihn in meinen Laptop, den ich auf den Holztisch gestellt hatte, gegenüber vom Mandel, wie in unserem Büro am Nordufer. Während der Mandel im Stehen rauchte und kurz darauf den Raum verließ, um sich vorne ein paar Platten anzuschauen, hörte ich mich durch die sieben Songs, die allesamt norwegische Titel trugen und von denen keiner unter fünf Minuten blieb. Sie waren dermaßen schlecht abgemischt, dass meine ersten Vierspur-Demos aus den frühen Neunzigern dagegen wie von Bob Rock produziert klangen. »Ulven har fortært landet« hieß der erste Song, und es spielte überhaupt keine Rolle, ob die Texte auf Norwegisch waren, denn es war sowieso kein einziges Wort zu verstehen. Der Gesang klang wie der Schrei eines tödlich verwundeten Tiers auf einer entfernten Waldlichtung in einer kalten Mondnacht, und je mehr ich davon hörte, desto unwohler fühlte ich mich. Irgendwann brach das Lied abrupt ab, und das nächste begann mit einem Keyboard. Es klang ein wenig wie diese Goa- CD s, die einem früher immer vorm Müller-Markt umsonst in die Hand gedrückt wurden, damit man auch auf das Goa-Trance-Fest in Gunzenhausen am kommenden Wochenende kam. Doch der Unterschied zum Goa-Trance zeigte sich nach zirka einer Minute. Zu den breiten Synthesizer-Akkorden, die wie aus einem japanischen Zeichentrickfilm klangen, gesellte sich eine simple und unmelodische Melodie, die sich so lange wiederholte, bis man das Gefühl hatte, in einem dieser Fieberträume festzuhängen, bei denen sich die panischen Bilder in einer Endlosschleife abspielen. »Sjelen min tilhører Odin« hieß das Stück. Es kam mir vor, als hörte ich schon seit Stunden nur dieses eine Lied, als der Mandel mich anbrüllte.
»Sigi, hörst du schlecht?«
»Ich hab den Kopfhörer auf.«
»Deshalb musst du nicht so schreien«, sagte der Mandel.
»Was ist denn?« Ich nahm den Kopfhörer ab.
»Der Sascha hat geschrieben.«
»So schnell?«
»Ich sag ja, der ist immer online.«
»Und?«
»Er konnte die IP -Adresse herausfinden. Sie gehört zu einem Rechner in der Umgebung von Bergen. Die DSL -Verbindung ist bei der Telenor gemeldet, das ist die Telekom von Norwegen, aber da kann sich der Sascha nicht so einfach von heut auf morgen in den Server einhacken, weil höchst illegal, das würde uns das Vierfache von seinem normalen Tarif kosten.«
»Der Wucherer. Ich weiß noch, wie er früher für ein bisschen Gras gearbeitet hat. Das ist noch gar nicht so lange her«, sagte ich.
»Aber dafür hat er den Domaininhaber der Website ausfindig gemacht. Das ist ein gewisser Aksel Raske«, sagte der Mandel.
»Raske, Scheiße«, raunte Skull hinter dem Mandel hervor. Er war, während der Mandel geredet hatte, mit zwei Tassen Kaffee in den Raum gekommen. Der Mandel schaute ihn fragend an.
»Was habt ihr mit Raske zu tun?«, fragte Skull.
»Bis jetzt noch nichts«, sagte der Mandel. »Er steckt hinter der Utgang-Website.«
»Der was?« Skulls Augen spiegelten das Licht des Baustrahlers wider. Sie waren ein wenig aus ihrer Höhle der Finsternis gekrochen, seit das Thema Aksel Raske aufgekommen war.
»Wer ist denn Aksel Raske?«, fragte ich.
»Der Sänger und Gitarrist von Død. Auch bekannt als King Therion«, sagte der Mandel enzyklopädisch, als müsste man von diesen Leuten den bürgerlichen Namen und den Künstlernamen zugleich parat haben.
»Ach der«, sagte ich.
»Der beschissene Unfried«, sagte Skull.
Fuckin’ inflamer.
»Unfried?«, wiederholte der Mandel.
»Mit diesen Utgang-Leuten hat er genau die gefunden, die er nach Belieben dirigieren kann. Für diese jungen Spinner ist Aksel ein beschissener Che Guevara.«
Langsam zogen sich die Augen von Skull wieder aus dem Licht zurück.
»Was sind denn das für Leute, diese Utgang?«, fragte ich.
»Das sind die jungen Radikalen. Die Neuen«, sagte Skull.
»Kennst du die?«, fragte ich.
»Heutzutage kennt man sich nicht mehr untereinander«, sagte Skull. Dann verließ er den Raum und nahm die zwei Tassen Kaffee wieder mit, ohne dass wir davon getrunken hatten.
»Und jetzt?«, fragte ich den Mandel.
»Unter der Domain ist auch eine Adresse hinterlegt. Wenn dieser Raske wirklich dort wohnt, sollten wir ihn einfach fragen, was es mit der Kreuzigung auf sich hat. Aber vorher will ich mit dem Mitbewohner von Vildes Bruder und jemandem von
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