Black Mandel
Omastrand standen zwei Häuser ohne sichtbare Hausnummern. Wir stiegen aus dem Auto, hinein in die tödlichste Kälte. Es lag eine so konsequente Stille auf dem riesigen Gewässer, dass ich kurz dachte, mein Gehör verloren zu haben. Der Mandel klopfte an dem einen von beiden Häusern, in dem noch Licht brannte. Eine halbe Minute später wurde die Tür von einer älteren Frau mit einer Nickelbrille in einer grauen Strickjacke geöffnet. Sie hatte kurze graue Haare mit langen lila Strähnen, die ihr ins Gesicht hingen.
»God kveld«, sagte sie und sah den Mandel erstaunlich freundlich an für die Uhrzeit. Klingelt man bei uns nach acht bei fremden Leuten, kann man froh sein, wenn niemand die Polizei ruft.
»Guten Abend, mein Name ist Mandel. Ich suche Aksel Raske«, sagte der Mandel auf Englisch.
»Der wohnt drüben«, sagte die Frau in einem gerade noch akzeptablen Englisch, während sie auf den Fjord hinausdeutete. Außer der schwarzen Wasseroberfläche konnte ich nichts erkennen.
»Das ist sein Haus«, sagte die Frau mit der Strickjacke und nahm bereits wieder die Türklinke in die Hand.
»Vielen Dank«, sagte der Mandel. »Und wie kommen wir dorthin?«
»Überhaupt nicht. Herr Raske holt seine Besucher persönlich mit dem Ruderboot ab«, sagte die Frau.
»Könnten Sie ihn anrufen?«, fragte ich.
»Ich habe seine Nummer nicht. Er ist nur ein Nachbar«, sagte die Frau.
»Schöne Scheiße«, sagte ich.
»Angenehmen Abend noch«, sagte die Frau und schloss die Tür.
»Und jetzt?« Ich sah den Mandel fragend an.
Der Mandel riss das Zellophanpapier von einer neuen Zigarettenschachtel herunter und schaute in die Finsternis des Fjords hinein, wo angeblich Raske wohnte.
»Und jetzt?«, fragte ich noch mal und versuchte, seinem Blick zu folgen.
»Schade, dass man das Nordlicht von hier aus nicht sehen kann«, sagte der Mandel. »Wusstest du, dass man nie zum Nordlicht winken darf?«
»Warum?«, fragte ich und wusste überhaupt nicht genau, wie man sich das Nordlicht vorstellen musste.
»Weil es dich holt, wenn du ihm winkst«, sagte der Mandel und zog ausführlichst an seiner Zigarette. Mir lief es kalt den Rücken hinunter, während der Mandel den Rauch in die Luft hinaufblies. Der Himmel war finster und schien direkt über unseren Köpfen anzufangen, so tief hing das Schwarz in dieser Nacht.
»Und jetzt?«, probierte ich es ein drittes Mal.
»Jetzt gehen wir schlafen«, sagte der Mandel und stieg mit der brennenden Zigarette ins Auto.
»Du willst doch wohl nicht im Auto rauchen«, sagte ich. »Du weißt doch, dass mir schlecht wird, wenn du beim Autofahren rauchst.«
»Wir fahren ja nicht«, sagte der Mandel.
»Wieso fahren wir nicht?«
»Weil wir im Auto schlafen«, sagte der Mandel.
Es ist noch dunkel, als ich aufwache. Der Mandel liegt auf der Rückbank und atmet kaum, während ich Beifahrer- und Fahrersitz überbrücken muss, um überhaupt liegen zu können. Die Handbremse drückt in die Nieren. Irgendetwas ist anders, deshalb bin ich aufgewacht. Irgendwer kommt. Ich öffne leise die Beifahrertür, um den Mandel nicht zu wecken. Draußen ist es noch immer so still, als ob jemand den Ton abgedreht hat. Die Berge schimmern kalkweiß in der ansonsten schwarzblanken Nacht. Jemand kommt aus den Bergen herunter, denke ich. Hinter mir steht das schwarze Wasser des Fjords wie Teer. Ich blicke auf die Felsen, die hinter dem Wagen in die Höhe ragen. Jemand kommt. Ich schaue durch die Scheibe ins Auto und sehe den Mandel auf der Rückbank schlafen. Ohne jede Bewegung. Er sieht aus, als wäre er tot. Jemand kommt, denke ich. Und tatsächlich bewegt sich etwas oben in den Felsen. Jemand kommt einen Weg hinunter. Ich bewege mich keinen Meter mehr vom Auto weg und sehe zu, wie eine Gestalt schräg am Felsen herunterschreitet, als wäre da eine Treppe. Immer wieder drehe ich mich zu dem schwarzen Wasser um, weil es sich anfühlt, als würde mich jemand aus dem Teer heraus anstarren, als könnte jederzeit etwas aus dem Schwarz emporsteigen. Wenn ich dann zurück zu der Felswand blicke, ist der Mann deutlich näher gekommen. Jetzt kann ich ihn besser sehen. Er trägt einen dunklen Mantel und eine Kapuze. Wie ein Mönch. Sein Gesicht ist nicht zu erkennen. Er ist jetzt den Berg hinabgestiegen und kommt hinter den Häusern hervor, auf das Auto zu. Er geht sehr langsam, und doch passiert alles viel zu schnell. Ich weiß jetzt, wer er ist. Der Mandel auf der Rückbank sieht durch die Scheibe immer noch aus wie tot,
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