Black Monday
Donner gerührt. Lawrence von Arabien? Alles, was er über den Mann weiß, hat er in einem alten Film gesehen, und ob der sich auch nur entfernt an die Wahrheit gehalten hat, steht in den Sternen. Er erinnert sich an Peter O'Toole, der die Beduinenkrieger auf ihren Kamelen in eine Schlacht gegen türkische Soldaten führt. Er sieht O'Toole auf einer ausgebombten türkischen Lokomotive, während seine Männer ihm zujubeln.
Verdattert fragt er: »Und wo ist die Verbindung zu Delta-3?«
»Woher soll ich das wissen? Clayton war Geheimdienstchef. Cox ein Stabsoffizier. Bartholomew hat den Angriff auf Damaskus geplant. Lewis war ein Australier, der zusammen mit Stokes für Lawrence gekämpft hat. Wenn man die Namen eingibt, erscheint immer sofort Lawrence' Buch Die sieben Säulen der Weisheit. Verdammt, das ist, als würde ein Amerikaner die Namen von Präsidenten als Pseudonyme benutzen. Lincoln Washington. Wilson Adams. Das würde nur einem Yankee einfallen. Können Sie sich einen El Kaida-Fanatiker vorstellen, der die Namen von toten britischen Generälen annimmt? Wohl kaum! Könnte Delta-3 aus England kommen?«
»Sie müssen mir noch einen Gefallen tun.«
»Hier spielen im Moment alle verrückt. Ich kann noch etwa zwei Stunden bleiben. Die Leute von Homeland Security lassen die Theorie fallen, dass es sich um einen Anschlag von arabischen Terroristen handelt – na ja, ganz lassen sie das wohl nie fallen, aber –«
»Finden Sie Pastor Bartholomew Young in Washington. Sehen Sie im Polizeiarchiv von Washington nach, bei Kirchen, in den Dateien der öffentlichen Versorgungsbetriebe. Vielleicht finden Sie eine Telefonnummer oder eine Kreditkarte. Er ist hier. Und kontaktieren Sie einen Detective in Las Vegas namens Duane Hardy. Er hat Videoaufnahmen von dem Mann.«
»Chef, Washington ist der einzige Ort, wo die bescheuerte Zoneneinteilung was Gutes bewirkt hat. Alle, die in den Zonen A und B gewohnt haben, sind elektronisch erfasst, damit die von Homeland Security entscheiden konnten, wen sie umsiedeln müssen. Die gehen die Dateien schon durch. Damit haben sie sofort angefangen, als ich auf den Zusammenhang zwischen den Namen gekommen bin.«
Mit rasendem Puls macht Gerard sich wieder auf den Weg. Er biegt nach Norden in die Connecticut Avenue ein. Beim Fahren betet er: Bitte, lieber Gott, beschütze meine Kinder. Nimm mich, nicht sie. Bestraf nicht meine Kinder dafür, dass ich meine Familie allein gelassen habe.
Als er sich der Calvert Street Bridge nähert, sieht er gespenstische Gestalten in den Schneewehen miteinander ringen. Dann lichtet sich das Schneegestöber einen Augenblick lang, und er bleibt erschrocken stehen, denn drei Meter vor ihm, mitten auf der Connecticut Avenue, steht ein Leopard. Frei. Lebendig. Ein Leopard vor einem liegengebliebenen Bus.
Was hat das Tier im Maul?, denkt Gerard.
Einen menschlichen Arm, der in einem olivgrünen Parkaärmel steckt.
So was tragen meine Kinder nicht. Annie kann die Farbe nicht ausstehen.
Der Atem des Tiers dampft. Der Leopard blickt Gerard an wie ein Trugbild. Beide starren einander in die Augen. Aber der Gestank von vergammeltem Fleisch, von Kot und nassem Fell ist echt. Durch den Vorhang aus Schnee wirken die Augen grün. Kleine, angelegte Ohren an einem rundlichen Kopf, der aus der Nähe wesentlich imposanter wirkt als hinter Käfiggittern. Der Schwanz zuckt.
Ganz langsam zieht Gerard die Walther aus der Tasche, als könnte das Tier wissen, was er da in der Hand hält. Er fragt sich, ob 9-Millimeter-Geschosse dem Leoparden überhaupt etwas anhaben können. »Meine Kinder!«, schreit er das Tier an.
Das ist der Arm eines Erwachsenen, denkt er erleichert.
Die grünen, runden Augen blinzeln.
Wütend schreit Gerard noch einmal: »Meine Kinder!«
Der Leopard wendet sich träge ab und trottet in Richtung Rock Creek Park. Er stapft durch hohe Schneewehen, dann ist er verschwunden. Gerard war für ihn nichts weiter als ein Kuriosum. Jedenfalls keine Bedrohung.
Wie viele gefährliche Tiere mögen hier noch frei herumlaufen?
Abstoßen und gleiten. Himmelherrgott! Ein Leopard.
Noch knapp ein Kilometer bis zum Zoo, schätzt Gerard.
Bitte, lieber Gott, mach, dass ich sie lebend finde.
Pastor Bartholomew Young steckt seine Glock zurück in die Parkatasche. Der Plünderer zu seinen Füßen liegt auf dem Rücken, die Arme ausgebreitet. Im blutgetränkten Schnee liegen Dutzende von Brillen.
Keine Lebensmittel. Keine Waffen. Brillen. Brillen mit Drahtgestell
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