Black Monday
er, obwohl ihm klar ist, wie bescheuert das klingt. Aber er will Zeit gewinnen, reden, denken, atmen.
Die blauen Augen blinzeln, doch ansonsten ist das Gesicht so ausdruckslos wie das von einem ausgestopften Tier. Gerard wartet auf die Kugel. Aber er ist froh, denn seine Kinder sind in Sicherheit.
»Wissen Sie, wer er ist?«, fragt der Mann.
Er? Bestimmt meint er den Drahtzieher. Den Mann im Hintergrund. Gerard senkt den Kopf. Dieser Mann darf absolut nichts von mir erfahren, denkt er.
Er hört ein metallisches Klicken, wahrscheinlich entsichert der Mann die Pistole. Die verdammten Soldaten müssen ganz in der Nähe sein.
»Sie brauchen mich«, sagt Gerard hastig. »Sie brauchen Informationen, richtig? Alle anderen, die Bescheid wissen, sind tot. Ich bin als Einziger noch übrig.«
Durch seine Mütze spürt Gerard den Lauf der Pistole, der gegen seine Schläfe drückt. Aber es fällt kein Schuss.
Der Mann fragt: »Glauben Sie etwa, Ihre Kinder wären in Sicherheit? Das sind sie nicht. Nur vorübergehend.«
Gerard blickt auf.
»Wenn ich es nicht schaffe«, sagt der Mann, »wird ein anderer kommen. Wenn Sie uns nichts sagen, werden wir Ihre Frau und Ihre Kinder fragen. Sie haben nur eine Möglichkeit, das alles aufzuhalten. Mit Antworten.«
»Wir wissen, wer er ist«, entgegnet Gerard verwegen.
Der Mann mustert ihn eindringlich, um herauszufinden, ob Gerard die Wahrheit sagt. »Dieser Junge ist nicht Ihr leiblicher Sohn. Trotzdem sind Sie bereit, für ihn zu sterben. Wollen Sie, dass er für Sie stirbt?«
Der Druck auf seine Schläfe wird stärker. Gerard riecht Knoblauch. Der Mann sagt: »Der Name. Sprechen Sie ihn aus.«
Jetzt hört Gerard ein neues Geräusch, nicht aus einem Lautsprecher, sondern etwas wie … ein Schnauben. Ein Pferd?
»Der Name, Commander! Ich verspreche Ihnen, mich fernzuhalten.«
Gerard sagt nichts.
Plötzlich ist der Mann verschwunden, und im nächsten Augenblick nähert sich ein von Pferden gezogener Schlitten, in dem Soldaten sitzen.
Er kommt ganz sicher zurück, denkt Gerard und fängt an zu zittern.
Der Schlitten ist ein von zwei großen, schwarzen Pferden gezogenes Ungetüm aus dem Smithsonian Museum, ein offener Wagen, wie man sie im neunzehnten Jahrhundert für Weihnachtsfahrten und Picknickausflüge benutzte.
Das Fahrzeug wirkt seltsam deplatziert neben den modernen Waffen und der modernen Ausrüstung der Männer, die darin sitzen.
Gerard zeigt den Soldaten, wohin Pastor Young geflohen ist. Die Spuren führen in Richtung Giraffen- und Elefantenhaus und zu dem dahinterliegenden Baumbestand.
»Ihre Kinder sind im zweiten Schlitten, Sir.«
Die Soldaten schwärmen zu Fuß aus, folgen den Spuren in einer Kette. Ohne Schneeschuhe oder Skier sehen sie aus, als würden sie durch schäumende Brandung waten. Dennoch machen sie einen hartgesottenen, kompetenten und entschlossenen Eindruck. Der Captain erklärt Gerard, dass ein zweiter Trupp durch den Hintereingang in den Zoo unterwegs ist, um Pastor Young abzufangen.
»Der kommt hier nicht raus, Sir, keine Chance. – Aha, da sind ja Ihre Kinder!«
Fassungslos und zugleich erleichtert dreht Gerard sich um. Neben den Soldaten sehen die Kinder in dem zweiten Schlitten winzig aus. Paulo wirkt fasziniert. Annie rechnet offenbar damit, den größten Ärger ihres Lebens zu bekommen. Gerard umarmt die beiden, drückt sie an sich, dann schreit er sie an.
»Wie konntet ihr das Handy verlieren? Das ist kein Spielzeug! Das hab ich euch schon hundertmal gesagt! Ihr passt einfach nicht auf eure Sachen auf!«
Paulo bricht in Tränen aus.
»Tut mir leid, Dad.« Er ist blass.
Sie haben Young noch nicht einmal gesehen. Sie hatten keine Ahnung, dass er da war. Sie haben Gerards Stimme aus den Lautsprechern gehört und sind sofort geflüchtet, und auf dem Heimweg sind sie den Soldaten begegnet, erzählen sie Gerard. Dann klingelt das Handy des Captain.
»Für Sie, Dr. Gerard.«
Er rechnet damit, Marisas Stimme zu hören, aber es ist Raines. Gerard kann sich kaum auf dessen Worte konzentrieren.
Meine Kinder leben.
»Chef? Wir haben seine Wohnung auf der Liste gefunden!«
»Liste?«
»Das hab ich Ihnen doch erklärt. Alle Hausbesitzer der Zone B haben Listen mit den Namen ihrer Mieter erstellt. Bartholomew Young, Beruf Pfarrer. Er hat eine Wohnung auf der Q Street gemietet, in der Nähe des Dupont Circle.«
»Gibt es sonst noch einen Bartholomew Young auf der Liste?«
»Nein. Homeland Security kümmert sich darum und versucht,
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