Black Monday
mich angerufen. Sie hat Asthma, wissen Sie. Sie braucht ein Inhaliergerät.«
Der jüngste der Polizisten, der Weiße, geht mit Claytons Führerschein in der Hand zum Streifenwagen.
Wenn ich schießen will, tue ich es besser, bevor er anruft.
Clayton faselt irgendetwas von seiner armen Mutter, die kaum noch Luft bekommt. Er sagt: »Und als sie die Flugzeugabstürze im Fernsehen gesehen hat, wie die Leute vom Himmel gefallen sind, hat sie einen solchen Schreck gekriegt, dass ihr die Luft weggeblieben ist …«
Währenddessen denkt er: Der verfluchte Schalldämpfer ist nicht aufgeschraubt. Wenn ich schieße, kommt bestimmt irgendein Idiot ans Fenster gestürzt.
Aber im selben Moment nickt die Polizistin mitfühlend.
»Wo haben Sie eigentlich Ihr Benzin gekauft?«, fragt sie.
»Wie bitte?«
Der schwarze Polizist sagt: »Ihr Benzin, Clay. Wir fragen, damit wir wissen, wo wir morgen früh brauchbaren Sprit kriegen. Der Captain hat uns aufgetragen, jeden zu fragen.«
»Ich heiße Clayton, nicht Clay«, erwidert er. Er kann es nicht leiden, wenn jemand seine falschen Namen nicht richtig ausspricht. Namen bedeuten etwas. Sie sind etwas Besonderes. Seinem Ururgroßvater waren sie auch wichtig.
»Tut mir leid, Clayton«, sagt der schwarze Polizist, während Clayton versucht, sich an irgendeine Tankstelle auf seiner Strecke zu erinnern. Auf Anweisung seines Mentors hat er sein Benzin schon vor Wochen gekauft und in der Garage gelagert.
»Ecke Tunlaw und Wisconsin«, sagt er, als ihm eine Tankstelle einfällt, an der er heute Nacht vorbeigefahren ist.
Der weiße Polizist kommt vom Streifenwagen zurück und reicht Clayton den Führerschein, der völlig echt wirkt. Er ist sauber. Sein Mentor hat ihn ihm besorgt. Mit einem dilettantisch gefälschten Führerschein geschnappt zu werden wäre unverzeihlich, hat sein Mentor gesagt.
»Sehen Sie zu, dass Sie nach Hause kommen, und dann lassen Sie Ihr Motorrad stehen«, ermahnt ihn die Polizistin und droht mit dem Finger. »Ab morgen Abend gilt die nächtliche Ausgangssperre, bis wir die Probleme gelöst haben. Heute Nacht gibt's Verwarnungen, ab morgen Strafzettel.«
»Falls wir morgen überhaupt unseren Dienst antreten können«, sagt der Schwarze.
Clayton schlägt das Herz bis zum Hals, als die drei Cops wieder zu ihrem Streifenwagen gehen. Sie kennen seinen Namen. Sie haben seinen Führerschein überprüft. Kann das gefährlich werden?
Vielleicht ein bisschen. Aber nicht sehr. Scheiß drauf.
Clayton startet den Motor. Fünf Minuten später ist er zu Hause. Er geht ins Wohnzimmer und schaltet den Fernseher ein. Normalerweise laufen um diese Zeit fürchterlich schwülstige Doku-Soaps.
»Um neun Uhr wird der Präsident sich an die Nation wenden«, sagt die Moderatorin, die erfreulich panisch wirkt.
Er erstattet telefonisch Bericht, dann geht er nach oben, um zu schlafen, denn in den kommenden Wochen wartet eine Menge Arbeit auf ihn. Er träumt vom Flüchtlingslager, er ist elf Jahre alt, umringt von Jungs, die ihn hänseln, Steine nach ihm werfen, Schimpfnamen schreien und sich über seine tote Mutter lustig machen.
Er wehrt sich heftig, tritt mit den Füßen um sich, spürt, wie einer der Jungen hinfällt, aber die anderen stürzen sich auf ihn. Und dann plötzlich scheinen die Jungs von ihm wegzufliegen. Sie werden weggezerrt. Und in dem Traum steht sein Mentor da, lächelt zu ihm herab und beruhigt ihn, erklärt ihm, wer er wirklich ist, wessen Gene er in sich trägt, die Gene eines großen Kriegers. Es ist schon eigenartig, wie Träume funktionieren; denn im wirklichen Leben hat er seinen Mentor erst nach seiner Flucht aus dem Lager kennengelernt.
Der Traum findet ein gutes Ende. Er hört damit auf, dass Clayton, sein Mentor und sein Ururgroßvater in seinem weiten, weißen Gewand entlang den Klippen hinter dem Haus des Mentors spazieren gehen.
Clayton Cox schläft tief und zufrieden inmitten des Chaos, bereit, jedem einen Besuch abzustatten, zu dem sein Mentor ihn als Nächstes schicken wird.
6. KAPITEL
31. Oktober. Morgendlicher Berufsverkehr.
Drei Tage nach dem Ausbruch.
Normalerweise säße Gerard jetzt in einem Flugzeug, unterwegs zum Ort der Katastrophe, anstatt kaltgestellt zu sein. Normalerweise fände die Katastrophe an einem fernen Ort statt. Normalerweise würde die Mikrobe wildfremde Menschen befallen.
Nicht meine Familie, denkt er.
Um acht Uhr ist er in der U-Bahn unterwegs vom Pentagon nach Hause. Man hat ihm fünf Stunden Zeit gegeben,
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