Black Rabbit Summer
er sein Gesicht wieder Campbell zu.
»Kapier ich nicht«, sagte er. »Soll das ein Witz sein oder was?«
»Kein Witz«, sagte Campbell frostig. »Nur eine simple Frage – weißt du, was ein Freund ist?«
»Ja«, fauchte Pauly und versuchte beleidigt zu tun. »Natürlich weiß ich, was ein
Freund
ist. Wieso denn nicht?«
Für einen Moment starrte Campbell ihn bloß weiter an, dann verlor sein Blick plötzlich die Kälte, in seinem Gesicht |57| bildete sich wieder ein Lächeln und schließlich trat er an Pauly heran und tätschelte ihm freundlich den Arm.
»Siehst du?«, sagte er lässig. »War doch gar nicht so schwer, oder?«
Pauly grinste jetzt nicht mehr so nervös, doch immer noch ein bisschen unsicher.
Campbell tätschelte ihn noch einmal beruhigend. »Dann bis später, okay?«
»Ja... wo find ich euch?«
Aber Campbell antwortete nicht. Er hatte sich bereits umgedreht und ging den Trampelpfad Richtung Brachfeld hinab, die Greenwell-Jungs folgten ihm. Er lächelte nicht mehr. Sein freundliches Gesicht war schlagartig weg gewesen, als er sich von Pauly abwandte. Ich hatte gesehen, wie es –
klack!
– verschwand, als ob ein Licht ausgeht. Und jetzt, als ich ihn weggehen sah, fiel es mir schwer zu glauben, dass er jemals in seinem Leben gelacht hatte.
Ich drehte mich zu Raymond um.
Auch er beobachtete Campbell.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich.
Er nickte.
»Sicher?«
»Ja...« Raymond sah mich mit dicht zusammengezogenen Brauen an. »Der ist noch komischer als ich, stimmt’s?«
»Wer – Campbell?«
»Ja.«
Ich musste lachen. »Ja, da hast du sicher recht.«
Die Hütte liegt am oberen Rand der Böschung, nach ungefähr |58| drei Vierteln des Wegs. Von unten sieht man sie überhaupt nicht, und wenn du nicht genau weißt, wie du hinkommst, ist sie so gut wie unmöglich zu finden. Und selbst
wenn
du es weißt, ist es noch immer ganz schön knifflig.
»Da oben ist sie«, sagte Raymond und zeigte die Böschung hinauf.
»Wo?«
»Da... du musst durch das Brombeergestrüpp dort drüben –«
»Wo?«
»Da, an dem Baumstumpf.«
Ich sah nicht mal einen Baumstumpf. Es war schon fast halb zehn und die Sonne ging langsam unter. Zwar war es noch nicht dunkel und die Luft war noch heiß und stickig, doch langsam verlor sich das Licht auf dem Weg und über allem lag ein schummriger Schleier.
»Er hat recht«, sagte Pauly und schob sich zwischen Raymond und mich. »Guck, da drüben ist sie.« Er zeigte die Böschung hinauf. »Du gehst hinten um den Baumstumpf herum, dann den kleinen Grat entlang und durch das Brombeergestrüpp nach oben –«
»Halt die Klappe, Pauly«, sagte ich.
Er guckte wie ein eingeschnappter kleiner Junge. »Ich versuch doch nur zu helfen.«
»Ach ja, richtig«, sagte ich. »Pauly Gilpin – Mr Superarsch Hilfreich.«
»Was soll das denn heißen?«
»Das heißt, du bist schlecht«, sagte Raymond.
Wir sahen ihn beide an.
»Schlecht?« Pauly grinste. »Du meinst
bad
, so wie Michael Jackson in seinem Song
Bad
?«
|59| Raymond musste lachen und das war genau der Einsatz, den Pauly brauchte. Er stellte die Plastiktüte ab, fing an zu tanzen und sang laut mit albernem amerikanischen Akzent: »
Your butt is mine, gonna take you right...
So ein Scheiß!«
Raymond lachte, als Pauly im Moonwalk auf die Böschung zutanzte und hinfiel. Und ich merkte, dass ich auch lachen musste. Ich
wollte
nicht, aber es war einfach
ur
ko misch .
So war es immer mit Pauly – egal was du von ihm hieltest, egal wie sehr du ihn hassen
wolltest
, er rettete sich immer, indem er einen zum Lachen brachte. Doch ich wusste, das gehörte alles zu seiner Show. Mach den Clown, bring sie zum Lachen, lass sie alles andere vergessen...
Ich sah ihn an, wie er sich auf dem Rücken hin und her wand, mit den Armen und Beinen in der Luft zappelte, wie er schrie und kreischte wie ein sich vor Schmerzen windender Michael Jackson.
»Los, komm, Raymond«, sagte ich und machte einen Schritt auf die Böschung zu. »Lass uns hochgehen.«
|60| Vier
W ir hatten überall unsere Hütten gehabt – unten am Fluss, an dem Weg, der in die Stadt führte, in dem kleinen Gehölz hinter dem ehemaligen Parkplatz der alten Fabrik. Die meisten waren ziemliche Bruchbuden – wir hatten ein paar Holzlatten in den Boden gerammt oder Paletten in die Lücken zwischen irgendwelchen Bäumen geklemmt. Manchmal befestigten wir das Ganze noch mit etwas altem Seil oder so und warfen Plastikfolie obendrüber ... aber sie waren nicht wirklich
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