Black Rose
ich uns auch nur
vorstellen können … Wir werden nun unseren ersten Zeugen aufrufen, Mr. Rufus
Wiley, den persönlichen Anwalt von Nelson St. James. Mr. Wiley wird uns
bezeugen, dass die Angeklagte vor ihrer Heirat mit Nelson St. James einen
Ehevertrag unterzeichnete, ein nach dessen genauen Anweisungen von Mr. Wiley
aufgesetztes Dokument. Danielle St. James wäre demnach das geblieben, was die
meisten von uns eine recht wohlhabende Frau nennen würden: mit einem Haus in
den Hamptons und einem Unterhalt von einer Million Dollar im Jahr.«
Franklin hob eine Augenbraue. »Doch was ist eine Million
Dollar im Jahr im Vergleich zu hundert Millionen, ja, zu Milliarden von Dollar,
die sie geerbt hätte, wenn sie bei seinem Tod noch mit ihm verheiratet wäre?
Das Problem war: Nelson St. James wollte sich scheiden lassen. Er hatte seinen
Anwalt Rufus Wiley bereits angewiesen, die entsprechenden Dokumente
aufzusetzen. Er wollte das Scheidungsverfahren einleiten. Das war der Grund,
weshalb sie ihren Törn unterbrochen hatten und nach San Francisco
zurückgekommen waren, und das war auch der Grund, weshalb er nach New York
zurückwollte.«
Franklins kleine Augen leuchteten vom Widerschein der
Habgier. »All dieses Geld stand auf dem Spiel! All dieses Geld konnte sie
verlieren! Was war eine Million Dollar im Vergleich zu dem, was er insgesamt
besaß?«, fragte er. »Wahrscheinlich hätte das nicht mal ausgereicht, um für ein
Jahr ihre Garderobe zu bezahlen!«
Morrison war aufgesprungen. »Euer Ehren! Erst vergisst er
sein Eröffnungsplädoyer, und dann glaubt er, beim Schlussplädoyer angelangt zu
sein! Dabei ist jetzt weder die Zeit für das Schlussplädoyer, noch sind die
Argumente, die er hier vorbringt, der Sache angemessen. Will er der Angeklagten
etwa vorwerfen, dass sie erstklassig gekleidet ist und sehr gut aussieht?«
Morrison war sich bewusst, dass er einen der seltsamsten
Einsprüche vorgebracht hatte, die je in diesem Gerichtssaal gehört worden
waren, doch ihm war ziemlich egal, was die Richterin dazu sagen würde. Das
Einzige, was ihn interessierte, war, Franklin als den wahren Schurken
darzustellen, als einen Mann, der eine Frau wegen ihres Aussehens verhöhnte. Es
funktionierte: Franklins rundes Gesicht wurde rot vor Zorn, und seine Augen sprühten
Gift und Galle.
»Das ist ein Teil der Anklage!«, sprudelte er hervor.
Speicheltropfen flogen durch die Luft. »Der Unterschied zwischen dem, was sie
bekommen, und dem, was sie verloren hätte!«, fügte er hinzu und hob den Blick
zur Richterbank, um die Bedeutung seines Arguments zu unterstreichen.
Über den Rand ihrer auf die Nase gerutschten Brille
erwiderte Alice Brunelli seinen Blick. »Dieser Teil des Verfahrens dient dazu, den
Geschworenen einen Umriss – einen kurzen Umriss – dessen vorzulegen, was die
Anklage vorzubringen hat. Argumentieren können Sie später, nachdem alle Beweise
vorgelegt worden sind. Und jetzt lassen Sie uns fortfahren.«
Mühsam seinen Zorn beherrschend, wandte Franklin sich
erneut an die Geschworenen. Er war fest entschlossen, seine Kritiker zu
widerlegen. In unverändertem Tonfall setzte er sein Plädoyer fort: »Eine
Million Dollar im Jahr – wenn sie alles hätte haben können! Kann man
sich ein besseres Motiv für einen Mord vorstellen? Kann man sich ein besseres
Mordmotiv vorstellen?«, wiederholte er. Diesmal war die Frage nicht länger
rhetorisch.
»Dann gibt es natürlich noch dieses andere Motiv, das
mindestens so alt ist wie das erste. Wenn es nicht Geld ist, muss es Sex sein.
Ja, Sex – Geld und Sex. Der Grund, weshalb Nelson St. James sich scheiden
lassen wollte, war – wie Rufus Wiley bezeugen wird – eine Affäre seiner Frau
mit einem anderen Mann. Das war der Grund, weshalb sie nach San Francisco
gekommen waren. Er wollte ihrer Ehe eine letzte Chance geben. Und das war der
Grund, weshalb sie ihn tötete: weil ihr klar geworden war, dass es nur diese
eine Möglichkeit gab, sowohl ihren Liebhaber als auch das Geld zu behalten.«
Es war das erste Mal, dass Morrison von einer Affäre hörte.
Die Anklage hatte noch nicht ihren ersten Zeugen aufgerufen, doch er war schon
jetzt überzeugt, verloren zu haben.
Mit einem selbstzufriedenen Ausdruck im Gesicht ließ
Franklin sich auf seinen Stuhl am Tisch der Gegenseite fallen. Richterin Brunelli
sah auf die Uhr und blickte dann zu Morrison.
»Mr. Morrison, wünschen Sie jetzt schon eine Erklärung
abzugeben?«
Normalerweise wäre jeder Strafverteidiger nun
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