Black Rose
den Lippen. Den Blick immer
noch auf Taylor gerichtet, griff er zum Telefon, wählte die Nummer des Mark
Hopkins Hotel und bat, mit Mrs. St. James’ Zimmer verbunden zu werden. »Vielen
Dank«, erwiderte er nach einer Weile und legte den Hörer auf. »Sie hatten Recht«,
sagte er leise und tonlos. »Sie hat das Hotel heute Morgen verlassen. Sie ist
abgereist.«
Etwas zerbrach in Andrew Morrison, als er dort
saß und sich anhören musste, wie Jack Taylor ihm erklärte, dass alles, woran er
geglaubt hatte, eine Lüge gewesen sei. Er hatte fast wie ein Mönch im Kloster
gelebt, immer bemüht, sich zu einem besseren Anwalt zu entwickeln. Und dann war
Danielle gekommen und hatte ihm gezeigt, was wahre Vollkommenheit ist.
Noch lange, nachdem Taylor gegangen war, saß er an seinem Schreibtisch
und erinnerte sich an die Zeit mit Danielle. Sie hatte ihn zum Narren gehalten,
ihn ohne sein Wissen zum Komplizen gemacht. Es spielte keine Rolle, warum sie
es getan hatte. Morrison war verraten worden. Und jetzt befanden sie sich da
draußen, sie und ihr Mann, saßen an Deck der Black Rose und lachten über
das, was sie ihm angetan hatten, und schmiedeten Pläne, was sie ihm als
Nächstes antun würden.
Zuerst wusste Morrison nicht, was er unternehmen sollte – nur
eins: dass er auf keinen Fall wieder als Anwalt tätig sein konnte.
Er schrieb einen Brief, in dem er mit einer nur vagen Erklärung
seinen Rücktritt aus der Anwaltsfirma begründete. Zugleich bereitete er alle
seine anhängigen Fälle so auf, dass ein Kollege sie übernehmen konnte. Und
dann, am letzten Wochenende, bevor er für immer verschwand, begann er damit,
eine Art Tagebuch zu führen und alles aufzuschreiben, was ihm widerfahren war.
Es war in gewisser Weise eine letzte Verfügung, ein Bericht – ein brutal ehrlicher
Bericht – über das, was man ihm angetan hatte und was er dagegen zu unternehmen
gedachte. Vielleicht geschah dies aus der gewohnten Präzision heraus.
Vielleicht brauchte er diese selbst auferlegte Disziplin, um seine geistige
Gesundheit zu erhalten.
Oder vielleicht war ihm auch bewusst, dass ihm nicht mehr
so viel Zeit zum Leben blieb.
19
Der Fahrer zeigte auf den Straßenrand. »Hier
wurde Falcone umgebracht, hier hat die Mafia seinen Wagen in die Luft gejagt.
Das war der Moment,in dem sich alles zu verändern begann, nachdem sie
den Richter getötet hatten, der Augenblick, in dem alle genug hatten.« Die
Mütze tief in die Stirn gezogen, warf der Fahrer einen Blick in den
Rückspiegel. »Falcone«, wiederholte er voller Respekt. »Der hatte keine Angst.«
Morrison beobachtete durch das Seitenfenster, wie der
schwarze Mercedes durch einen dunklen Tunnel glitt und auf der anderen Seite
auf einer Autobahn weiterfuhr, die nahe der Küstenlinie verlief. Der Monte Pellegrino ragte
senkrecht auf wie der Felsen von Gibraltar und bewachte die Küste und das
schmale fruchtbare Tal, das sich landeinwärts schlängelte. Morrison stellte
sich vor, welchen Eindruck das Land auf die ersten in der lange Reihe von Eroberern
gemacht haben musste, die Sizilien hatten unterwerfen wollen. Diese Landschaft
war der ewige unveränderte Hintergrund aller Gewalttätigkeiten, die es gegeben
hatte, all der erzwungenen Belastungen, der Macht- und Religionswechsel, die
Griechen, Römer, Araber und Normannen mitbrachten – die atemberaubende Schönheit
des Landes, einer Insel in unmittelbarer Nähe Italiens und mitten im Meer
gelegen. Und jetzt, tausend Jahre nach Ankunft der Normannen, tausend Jahre
nachdem arabische Arbeiter in Monreale eine der größten Kathedralen der
Christenheit erbaut hatten, war diese Landschaft mit einigen der hässlichsten
Bauten verschandelt, die Morrison je gesehen hatte, fünf- und sechsstöckigen
Wohnhäusern aus billigstem Beton.
»Mafia«, erklärte der Fahrer, der das Wort fast ausspie. »In
den siebziger Jahren entschloss sich die Regierung, Geld für den Wohnungsbau
auszugeben. Die Aufträge gingen alle an Unternehmen, die von der Mafia kontrolliert
wurden, weil die Mafia die Regierung beherrschte. Alle wurden reich, die Mafia
und die von ihr geschmierten Politiker … Falcone – der machte dem ein Ende oder versuchte
es zumindest, mit dem Ergebnis, dass sie ihn umbrachten. Aber wissen Sie was?
Sein Beispiel konnten sie nicht töten.«
Der Fahrer sah Morrison im Rückspiegel an. »Sie sind
Amerikaner, oder? Sind Sie schon mal hier gewesen?«
»Nein, es ist meine erste Reise.«
»Geschäftlich oder
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