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Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Carroll
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fabrikneue Spielzeuge. Selbst die Acetylen- und Sauerstoffflaschen sahen aus, als seien sie mit einem Lappen gesäubert worden. Das einzige Ding, was nicht gereinigt worden war, war die Drachenskulptur, die über dem Arbeitstisch hing. Becky fand sie unheimlich. Das konnte ich ihr nicht verübeln.
    Der Kopf bestand aus einem hydraulischen Rettungsspreizer, den ich auf einer Müllhalde in Greenpoint gefunden hatte. Selbst zwischen dem Abfall sah er schon wie die Schnauze eines Monsterreptils aus. Es war das Monster, das ich jede Nacht in meinen Träumen sah. In der Realität war es mir tatsächlich einmal begegnet, an jenem Tag, als meine Mutter starb.
    Ich war damals sechzehn. Meine Mutter hatte ein Auto gemietet, um mich zu einem Vorstellungstermin bei der Rhode Island School Of Design zu bringen. Wir fuhren durch einen Schneesturm und hatten uns den ganzen Weg über gestritten, wo ich mein Studium beginnen wollte. Schließlich war ich so sauer, dass ich mich auf den Rücksitz setzte, nachdem wir kurz angehalten hatten, um zu tanken. Ich hatte beschlossen, dass ich lieber in der Stadt bleiben und das FIT besuchen wollte. Es kostete erheblich weniger als ein privates Institut wie die RISD und war
nicht so steif und hochnäsig. Meine Mutter hingegen betonte immer wieder, dass sie die Mittel schon aufbringen würde, um mich auf die RISD schicken zu können. »Du kannst alles werden, was du willst, Garet. Du musst die freie Wahl haben … und es ist besser, wenn du aus dem Haus kommst.«
    »Damit ich nicht mehr mit anhören muss, wie du dich mit Dad streitest?«, fragte ich, setzte die Kopfhörer meines Walkmans auf und drehte das Gesicht zum Fenster, vor dem der Schnee wie eine Nebelwand wirbelte. Ich starrte noch immer aus dem rechten hinteren Seitenfenster, als der Fahrer eines roten Ford Expedition die Spur wechselte, ohne auf den toten Winkel zu achten, und dabei unseren Mietwagen rammte. Wir überschlugen uns und rutschten über drei Fahrbahnspuren. Ein zweiter Geländewagen prallte gegen den leicht hochgebogenen linken hinteren Kotflügel, und unser Auto begann sich zu drehen, bis es gegen eine niedrige Mauer krachte. Dann war ich eingeklemmt zwischen zwei Metallwänden, der hinteren Beifahrertür und der Tür auf der anderen Seite, die wie eine Ziehharmonika gefaltet war. Ich sah den Hinterkopf meiner Mutter und hörte, wie sie wieder und wieder meinen Namen sagte.
    »Garet, kannst du mich hören? Ist alles in Ordnung? Garet?«
    »Ich bin hier, Mom. Mir geht es gut, aber ich kann mich nicht bewegen. Ist dir etwas passiert?«
    Zunächst antwortete meine Mutter nicht; dann sagte sie, es ginge ihr gut. Es täte ihr leid, dass wir uns wegen des Colleges gestritten hätten, aber sie würde mir zutrauen, dass ich selbst die richtige Entscheidung treffen
würde. »Marguerite«, sagte sie und nannte mich dabei bei meinem französischen Namen, den sie stets wie eine Liebkosung aussprach, »vertrau immer deinem Instinkt. Du bist ein seltener Vogel … einzigartig … denke immer selbstständig …«
    Sie sagte noch etwas anderes, das im Lärm der Sirenen, die plötzlich um uns herum erschollen, unterging. Das Gesicht eines Mannes mit Feuerwehrhelm erschien am Fahrerfenster, und meine Mutter sagte etwas zu ihm, das ich nicht hören konnte. Dann war der Mann an meinem Fenster, und das Blinklicht hinter ihm strahlte sein Gesicht rot und bedrohlich an.
    »Da gibt es noch etwas, das ich dir sagen muss«, rief meine Mutter über das Sirenengeheul hinweg.
    »Es ist alles in Ordnung, Mom, sie holen uns raus«, schrie ich zurück.
    »Ja, ja, mein Schatz, aber nur für den Fall …«
    Was meine Mutter sonst noch hatte sagen wollen, ging im Kreischen von auseinanderbrechendem Metall unter. Etwas bohrte sich in die verzogene Tür. Es sah aus wie die Schnauze eines riesigen Ungeheuers, und ich sah mit ehrfürchtigem Entsetzen zu, wie es seine Kiefer öffnete und einen gequälten Schrei ausstieß.
    Später begriff ich, dass die Feuerwehr einen hydraulischen Rettungsspreizer einsetzte – ein sogenanntes Rettungsmaul -, um mich aus dem Wrack des Autos herauszuschneiden, und der Schrei, den ich hörte, war das Kreischen und Krachen des Metalls. Aber ich vergaß den Eindruck nie – für mich hatte dieses Vieh sein Maul aufgerissen und geschrien.
    Als mich der Feuerwehrmann aus dem Auto zog, schrie
ich auch, ich brüllte den Mann an, sofort zurückzugehen und meine Mutter zu holen. Wir hatten uns erst zehn Meter von dem Wagen entfernt, da

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