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Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Carroll
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zuvor in der Bibliothek der Cloisters gelesen hatte. So viel war seitdem passiert, und ich hatte so viel Entsetzliches und Wunderbares erfahren, dass es mir vorkam, als sei es schon Jahre her, dass mir die Zeile begegnet war: Die Nachtigall, sie singt nicht mehr, die Lerche ist’s, die nun das Morgenlicht begrüßt .
    Ich wandte den Kopf und sah, dass der Himmel im Osten blass wurde. Als ich mich wieder umdrehte, saß ich allein auf der Mauer. Will Hughes war so schnell verschwunden wie die Nacht.

König des Mondlichts, Prinz der Träume

    Als ich zur U-Bahn-Station an der 190th Street ging, fiel mir auf, dass die letzten blühenden Heideglöckchen, die in der Nacht noch in Indigo und Violett geleuchtet hatten, perlgrau und helllila verblichen waren, vom Frost gezeichnet. Ich hielt Ausschau nach den Lichtsylphen, konnte aber keine entdecken. Wahrscheinlich waren sie nun trunken von Farbe und Licht. Aber wo hielten sie sich tagsüber auf? Und wovon lebten sie, wenn sie alle Farben ausgetrunken hatten und der Winter die Landschaft öde und blass werden ließ?
    Am Ausgang des Parks blieb ich kurz stehen und sah mich noch einmal nach den Gärten um, verblüfft darüber, dass ich mir über solche Dinge Gedanken machte und nicht über die grundsätzliche Frage, ob die Geschehnisse der letzten Nacht wirklich passiert waren. Meine Hand glitt unter meinen Schal, den ich mir eng um den Hals geschlungen hatte, um die Spuren von Will Hughes’ Zähnen zu verbergen. Als ich das versehrte Fleisch berührte, rann ein Schauer über meinen Körper. Nein, ich hatte mir das alles nicht eingebildet. Sorgfältig zupfte ich den Schal
wieder zurecht. Will Hughes hatte gesagt, ich würde Leute finden, die mich anleiten konnten. Aber wie? Wo?
    Nicht hier , sagte eine Stimme in meinem Kopf. Eine übernatürliche Stimme? Oder nur die Stimme der Vernunft, die mich daran erinnerte, dass ich müde war, hungrig und durchgefroren, und dass es an der Zeit war, nach Hause zu gehen? Ich konnte das nicht unterscheiden – und wenn mir nicht einmal das gelang, wie sollte ich dann jemals jene Lehrer finden, die mir beibringen konnten, was ich wissen musste?
    Als ich den Park verließ, überkam mich ein seltsames Gefühl – als würde ich, sobald ich mich außerhalb seiner Tore befand, nie wieder in die Welt zurückfinden, auf die ich gestern Nacht einen kleinen Blick erhascht hatte. Nichts konnte sich normaler anfühlen als der Weg hinunter zu den Bahnsteigen, wo ich dann zusammen mit den ersten Pendlern auf die Linie A wartete. Würde mir einer von ihnen, die mit den iPod-Stöpseln in den Ohren und den Pappbechern mit Kaffee in der Hand auf die Gleise starrten und auf den nächsten Zug warteten, Glauben schenken, wenn ich ihnen erzählte, was mir in den letzten achtundvierzig Stunden zugestoßen war? Ganz bestimmt nicht die Frau in dem grauen Business-Kostüm, die eine SMS in ihr iPhone tippte, oder die gähnende Schülerin, die versuchte, sich auf ihr Chemie-Lehrbuch zu konzentrieren. Und wie hätte ich überhaupt jemandem anvertrauen können, dass ich in den Cloisters gewesen war, als Edgar Tolbert ums Leben kam? Sie würden mich für verrückt halten, so wie den Mann mit der Trappermütze, der vor sich hin murmelte, während er von einem zum anderen ging, den Leuten einen Pappbecher hinhielt und
um ein paar Münzen bat. Er trug verschiedene Schichten zerlumpter Kleidung, die wie ein Regenbogen aus verblichenen Umhängen seine zierliche Gestalt umwallte und wie Espenlaub zitterte, als er über den Bahnsteig irrte. Als er sich mir näherte, hörte ich ein wenig von seinem Gemurmel.
    »Du siehst so hübsch aus wie die Königin von Ägypten«, sagte er zu der Frau in dem grauen Kostüm. »Purpurn die Segel«, rief er dann, »duftend, dass der Wind vor Liebe krank wurde.« Er drehte eine Pirouette, so dass sich seine lockere Kleidung blähte wie die duftenden Segel in Shakespeares Worten und sich die Farben wild vermischten. Als er wieder anhielt, blieb der seltsame Farbschimmer – bebende Farbbalken wie die Regenbögen, die man an einem heißen Tag über den Rasensprengern sieht. Beinahe hätte ich aus Freude über seinen Trick aufgejauchzt, doch dann erkannte ich, dass die Frau in dem grauen Kostüm ganz offensichtlich nichts davon gemerkt hatte. Sie starrte den Bettler direkt an, aber ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung und war so grau wie ihr Kostüm … oder vielmehr … jetzt sah ich sie genauer an. Das Grau endete nicht dort, wo ihre Kleidung

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