Black Swan - Silberner Fluch
gefällt das Aquarell von Dufy«, warf Maia ein, nachdem ich die Frau weiterhin nur anstarrte.
»Aber sie ist der Ansicht, dass wir angesichts der allgemeinen Wirtschaftslage zu viel dafür verlangen.«
»Ich habe schon eine Weile ein Auge darauf geworfen«, setzte Mrs. Birnbach hinzu. »Es würde sich in unserem Apartment in Boca so hübsch ausnehmen. Und da habe ich mich gefragt, ob bei dem Preis nicht vielleicht etwas zu machen wäre.«
Es war nicht das erste Mal, dass ein Kunde versuchte, mit uns zu handeln. Normalerweise übernahm Roman solche Gespräche und behielt dabei meistens die Oberhand. Aber die Vorstellung, dass diese Frau mit ihrer achthundert Dollar teuren Tasche und dem Apartment in Boca die miese wirtschaftliche Lage des Landes dazu ausnutzen wollte, um einen Dufy, der für sie ohnehin nur ein hübsches Dekorationsstück darstellte, zum Spottpreis zu bekommen, brachte mein Blut zum Kochen.
Gerade wollte ich den Mund öffnen, um eine geharnischte Rede vom Stapel zu lassen, als ich etwas hörte. Eine schüchterne, mädchenhafte Stimme piepste: Bitte schrei mich nicht an! Sie kam aus Mrs. Birnbachs Kopf. Ich war so überrascht, dass mir eine Sekunde lang der Mund offen stehen blieb, aber dann klappte ich ihn eilig zu. Ein wildes Durcheinander von Eindrücken flutete durch mein Hirn: ein gestresst wirkender Mann, der eine Rechnung hochhielt und brüllte, ein hübsches Teeniemädchen, das auf ein teures Pocketbook zeigte, ein Junge mit Zahnspange … Aaron wird Medizin studieren … oder vielleicht auch Jura … ein ganzes Leben, das am Rande des Zusammenbruchs stand. Aber wieso stand sie dann hier und wollte einen Dufy kaufen?
Ich sah zu dem fraglichen Bild. Das Aquarell zeigte
einen Strand mit zahlreichen bunten Sonnenschirmen. Mrs. Birnbachs Augen folgten meinem Blick, und in ihren Gedanken entdeckte ich eine Strandszene, die der auf dem Gemälde sehr ähnlich war. Vielleicht befand sich der Ort in New Jersey oder auf Long Island, aber er wirkte ebenso strahlend wie ein Strand in Südfrankreich. Kinder spielten in den Wellen, Möwen kreisten am strahlend blauen Himmel, ein alter Mann … Papa Rosenfeld – reichte einem kleinen Mädchen eine schimmernde rosafarbene Muschel. Ich blinzelte, und die Vision war verschwunden wie die Gischt der Brandung. Als ich wieder Mrs. Birnbach ansah, entdeckte ich, dass ihr Nagellack dieselbe Farbe hatte wie die Muschel, die ihr Großvater ihr damals gegeben hatte.
Ich nannte eine Summe, die dreißig Prozent unter dem Verkaufspreis für den Dufy lag.
Maia starrte mich ungläubig an. Selbst Mrs. Birnbach wirkte überrascht, fasste sich aber schnell und griff nach ihrer Brieftasche. Als ich Maia die American Express Card reichte, fragte ich mich, ob ich irgendjemandem von uns damit einen Gefallen getan hatte. Mrs. Birnbachs Ehemann würde wütend auf sie sein, Roman würde sich mit Sicherheit fragen, wieso ich den Dufy für so wenig Geld verkauft hatte, und Maia war berechtigterweise sauer über meine Großzügigkeit, weil damit ihre Provision entsprechend niedriger ausfiel. Aber für einen kurzen Augenblick lächelten Mrs. Birnbach und ich uns an, als gäbe es nichts in der Welt, das uns belastete.
Trotz meiner euphorischen Stimmung war mir klar, dass ich Maia einen Ausgleich für die Provision anbieten musste,
die ihr entgangen war. Nachdem sich Mrs. Birnbach mit dem Dufy verabschiedet hatte, erklärte ich unserer Rezeptionistin, dass ihre Beteiligung nach dem Originalpreis berechnet werden würde. Maias dankbares Lächeln erleichterte mich, und dann ging ich wieder nach oben, um mich für meine mittägliche Verabredung mit Oberon zu duschen und anzuziehen. Vor der Tür zur Wohnung meines Vaters blieb ich kurz stehen und horchte, ob ich ein Geräusch oder eine mentale Regung von Jay aufschnappen konnte, aber es war alles still. Offenbar schlief er noch. Vermutlich konnte ich dankbar sein, dachte ich, dass ich nicht auch noch angefangen hatte, die Träume der Menschen zu sehen und zu hören.
In meiner Wohnung war es auch ruhig, und von Lol war nichts zu sehen. Nach ihrer Attacke auf Will Hughes in der vorigen Nacht hatte sie noch ein Weilchen mit mir gezetert und war dann davongeflogen; vermutlich, um Oberon von meiner Beinaheverwandlung in einen Vampir zu berichten. Wenn sie nicht eingegriffen hätte, wäre ich dann jetzt vielleicht schon auf dem Wege, einer zu werden? Im kalten Morgenlicht – einem Licht, von dem ich mich beinahe willentlich
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