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Blackbirds

Blackbirds

Titel: Blackbirds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Wendig
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raucht eine Zigarette, und er kreuzt in seinem Truck auf – die Bremsen zischen, er steigt aus, und sie sieht, wie er sich richtig nett zurechtgemacht hat. Es ist nicht die neueste Mode: blaues Karohemd, gerade geschnittene Jeans mit nicht einer Franse am Saum oder einem winzigen Riss im Denim, große schwarze Cowboystiefel (ohne Schramme).
    Und hier wartet sie, schlichtes weißes T-Shirt, Haare von der Farbe einer öligen Krähe, eine Jeans, der das linke Knie fehlt und die eine Reihe von unregelmäßigen Schlitzen den rechten Oberschenkel hoch aufweist. Keine Stiefel, nur ein Paar Chuck Taylors, die mal weiß waren, aber inzwischen so fleckig sind, dass sie wie Gewitterwolken aussehen.
    Plötzlich kommt sie sich schäbig vor. Ihr Mund wird trocken. Das sieht ihr gar nicht ähnlich.
    »Stell diese Scheiße ab!«, murmelt sie zu sich selbst, als er auf sie zukommt. »Mach dicht. Sei taff. Sei kein Trottel. Sei kein Feigling. Steh es einfach durch. Wir sterben alle.«
    Er kommt näher, und sie kommt sich klein vor – sie wird wieder an seine enorme Größe erinnert, die breiten Schultern, die Haxenhände, die Herman-Munster-Stiefel. Und trotzdem ist sein Gesicht weich. Seine Augen nach unten gerichtet. Er ist verletzlich. Eine leichte Beute, denkt sie, aber es überzeugt sie nicht.
    »Hey«, sagt er. Es liegt eine Ach-was-soll’s-Schwingung darin. Er ist nervös.
    Das hilft ihr. Es ist grausam, aber die Schwäche anderer macht sie umso selbstbewusster.
    »Hast du gut hergefunden?«
    »Habe ich«, antwortet sie. Sie ist in Ashleys Mustang hergefahren – sein Auto zu borgen hatte einiger Überredungskunst bedurft, als würde sie Papa fragen, ob sie in seinem Benz durch die Stadt toben darf.
    »Es ist schön, dich zu sehen.«
    »Du siehst ... sauber aus.«
    Der Kommentar bringt ihn aus dem Gleichgewicht. Sie kommt sich renitent und gemein vor.
    »Ich habe geduscht«, sagt er.
    »Das mag ich an einem Mann.«
    »Ich hätte nicht gedacht, dass du anrufen würdest.«
    Sie wirft die Zigarette weg. Sie trifft eine Pfütze, es zischt. »Ach ja?«
    »Ich dachte, wo du doch mit dem ...«
    »Dem andern Kerl? O Gott, nein. Das ist mein Bruder, Ashley.«
    Louis sieht erleichtert aus. Als ob ihm gerade die Passatwinde in die Segel gekommen wären. »Dein Bruder?«
    »Jep. Das ist der eigentliche Grund, weshalb ich hier bin. Um ihn zu besuchen. Ich denke daran, mir einen Job in derGegend zu besorgen, eine Wohnung.« Die Lügen fließen weiter. Wenn sie das Wasser erst einmal aufgedreht hat, hört es nicht auf zu strömen; ihre Ventile und Armaturen sind schon lange kaputt. »Aber natürlich ist er zurzeit arbeitslos – Mama und Papa haben immer gesagt, er sei ziemlich nutzlos. Ich hingegen, ich hab echten Kampfgeist. Ich denke mir, ich kann hier runter kommen, ihm Arbeit suchen, ihm zeigen, wo der Hase langläuft, und ihm so in den Hintern treten, dass er mit seinem faulen Arsch in die Gänge kommt.«
    »Ich hoffe, es klappt. Charlotte ist eine nette Stadt.«
    »Nett«, wiederholt sie. »Ja, es ist bestimmt sehr nett.«
    Nett. Sie wiederholt das Wort in Gedanken, und es klingt spöttisch, weinerlich. Die Stadt ist nett auf eine aseptische Art, auf eine Klare-Linien-und-poliertes-Metall-Art. Viel lieber hätte sie New York, Philly, Richmond: den Dreck, den Ruß, die eigenartigen Winkel, die chemische Luft, den Geruch nach Müll, der sich mit dem Duft ausländischer Lebensmittel mischt.
    »Bist du so weit?«, fragt er.
    Ihre Magen verkrampft sich. Sie ist nicht so weit. Sie ist echt nicht so weit.
    »Klar doch«, sagt sie und macht einen Schritt auf ihn zu, um seine Hand zu nehmen.
    »Die Droschke wartet!«
    Der Film war scheiße. Das Essen war mittelprächtig.
    Miriam hat das Gefühl, vom Weg abgekommen zu sein. Sie beide saßen während des Films nebeneinander und in dem italienischen Schuppen sich gegenüber, aber es fühlte sich an, als wären sie tausend Meilen voneinander weg. Jedes Mal, wenn er ihr näherkam – eine Frage, ein Blick, ein Handausstrecken über den Tisch –, wich sie zurück – eine Ablehnung, ein Wegschauen, das Zurückziehen der Hand auf den Schoß. Zwei falsch gepolte Magnete, die einander abstoßen statt anziehen.
    D as hier funktioniert nicht , dachte sie immer und immer wieder.
    Jetzt sitzen sie wieder im Truck und rumpeln auf der Straße, die sich mit dem unpassenden Namen Independence Boulevard schmückt, durch den Stop-and-go-Verkehr. Miriam fühlt sich nicht unabhängig. Sie fühlt sich

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