Blackmail: Thriller (German Edition)
Lucien ist schnell.«
»Diesmal nicht«, sagt Lucien. »Es gibt ein eigenes Verschlüsselungsprogramm, das die Daten auf dieser Karte schützt. Es sieht aus, als wäre es militärisch. Woher haben Sie die?«
Ich hätte wissen müssen, dass Marko Vorsichtsmaßnahmen ergreift. Was hat Paul mir erzählt? In Sarajevo hat Marko höchstes Geschick im Überleben erworben. »Das musst du nicht wissen. Kannst du die Karte hacken oder nicht?«
»Vielleicht.«
»Wie lange?«
»Vielleicht eine Stunde, vielleicht ein Jahr. Wenn ich sie mit nach Hause nehmen könnte …«
»Du kannst sie nicht mitnehmen.«
»Dann muss ich eben hier sehen, was ich tun kann.«
»Wir sind in ein paar Stunden wieder da.«
»Kann ich mir etwas beim Zimmerservice bestellen?«, fragt Lucien lächelnd. »Ich hatte noch kein Abendessen.«
»Bestell dir, was du möchtest.«
Das Lächeln wird breit und glückselig. »Das ist Musik in meinen Ohren. Ich hoffe, die haben eine Weinkarte.«
Ich kauere unter einer Buchstabendecke der St. Stephen’s auf dem Beifahrersitz von Mias Honda Accord, während wir überden Highway 61 nach Norden fahren. Mia hat die Decke aus dem Kofferraum geholt, um mich besser zu tarnen, wie sie es nennt. Die vergangenen fünfundvierzig Minuten erinnern mich an Szenen aus Schülerkomödien aus den 1960ern, aufgepeppt mit filmischen Verfolgungsjagden aus den 1970ern. Nachdem Mia den verschlüsselten Vers gelesen hatte, der mit Tesafilm an das Kassenfenster des alten Kinos geklebt war, stießen wir zu einem Konvoi aus aufgemotzten Pick-ups, vererbten Familienlimousinen und teuren ausländischen Sportcoupés. Der Konvoi jagte von einem Ort zum anderen auf der Suche nach sukzessiven Hinweisen, ohne Rücksicht auf den Verkehr oder irgendwelche Regeln. Immer wieder zerplatzten Bierflaschen an Verkehrsschildern. Mir drohte das Herz stehen zu bleiben, als ich einen Jungen sah, der bei hundert Stundenkilometern von der Pritsche eines Pick-ups auf die eines anderen sprang.
Aus den Lautsprechern kommt leise Musik von Dave Matthews. Mia lenkt mit einer Hand, während sie mit der anderen auf ihrem Handy Textnachrichten sendet und empfängt, wobei sie eine olympiareife Geschicklichkeit an den Tag legt. Ich benutze die kleine led-Lampe an meinem Schlüsselbund, um Kates Bekanntschaftenliste in ihrem Tagebuch durchzugehen und Mia nach dem ungefähren Zeitpunkt dieser Bekanntschaften zu fragen. Bei manchen Namen lacht sie auf, bei anderen klappt ihr der Unterkiefer herab. Einmal flucht sie wütend und versteift sich auf ihrem Sitz. Die Geschichte dahinter ist einfach:
»Kate hat mir in der neunten Klasse den Freund ausgespannt«, sagt sie. »Chris Anthony. Kurz nachdem sie aus England zurückgekommen war. Es wäre nicht so schlimm gewesen, aber sie hat es hinter meinem Rücken getan. Die beiden haben sich sechs Wochen lang getroffen, bevor ich es von jemand anderem erfahren habe. Als ich Kate zur Rede stellen wollte, hielt sie es nicht mal für nötig, sich zu rechtfertigen. Sie tat so, als wäre ich eine totale Verliererin, unter ihrer Würde. Ich weiß, das klingt banal, aber es hat weh getan. Wir haben über ein Jahr kein Wort miteinander geredet.«
»War das der Grund für die Konkurrenz zwischen euch beiden?«
Mia blickt beharrlich auf die Straße. »Zum Teil, nehme ich an. Aber das spielt jetzt ja keine Rolle mehr.«
Mia kennt fast jeden Namen auf Kates Liste. Das Bild, das ich aus der Analyse der zeitlichen Abfolge gewinne, ist das eines promiskuitiven jungen Mädchens während der Junior High und in der ersten Zeit der Highschool – bevor sie anfing, mit Männern zu schlafen. Im Sommer vor Beginn des elften Schuljahrs jedoch hatte sie nur noch Steve Sayers als Freund. Zwei der Namen, die Mia unbekannt sind, tragen Anmerkungen, die darauf hindeuten, dass die Begegnungen während Kates Zeit in England stattgefunden haben. Lediglich zwei Namen kommen vage in Betracht als Männer, mit denen sie Drew »betrogen« und damit seine Eifersucht entfacht haben könnte, die schließlich zum Mord geführt hat.
Mia ist geschockt von Kates Liste zurückgewiesener Männer – und Männern, die Kate ihrerseits zurückgewiesen haben. Die Tatsache, dass Kate versucht hat, ein Mädchen namens Laurel Goodrich zu verführen, entlockt Mia einen erstaunten Ausruf. Die Erwachsenen auf der Liste überraschen sie hingegen nicht. Sie stimmt Kates Einschätzung von Mr Dawson, dem Kunstlehrer, als einem »Perversen« zu. Der abgewiesene »Mr Taylor«
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