Blackmail: Thriller (German Edition)
verschwunden sind, schwingt Marko sich von seinem Ast.
Er ist zwei Zentimeter größer als ich, besitzt schlanke, muskulöse Arme und eine magere Brust. Sein Mund lächelt, doch das Lächeln reicht nicht bis zu seinen Augen, die mich beobachteten wie die eines Tiers, das unsicher ist, ob es kämpfen oder fliehen soll. Vielleicht sind es die Drogen.
»Was kann ich für Sie tun, Mr Cage?«
»Weißt du, was mit den Wilsons passiert ist?«
Das Lächeln verschwindet. »Klar. Schrecklich, nicht wahr?«
»Warst du zu Hause, als die Killer gekommen sind?«
Marko verengt die Augen zu Schlitzen. »Bestimmt nicht. Ich hätte sie umgebracht, so viel steht fest.«
»Ich habe die Leichen gefunden.«
»Hab ich in der Zeitung gelesen.«
Ich beobachte ihn ein paar Sekunden, ohne zu sprechen. Das Schweigen scheint ihn nicht nervös zu machen. Es macht mich nervös.
»Warum tragen Sie ’ne Kanone?«, fragt er. »Haben Sie Schiss?«
Ich schätze, in Sarajevo lernt man ziemlich schnell, verborgene Waffen zu entdecken. »In der Stadt laufen die Dinge im Moment ein wenig aus dem Ruder. Ich möchte mir meine Möglichkeiten erhalten.«
Das bringt mir ein Lächeln ein. »Möglichkeiten … das gefällt mir. Ich hab auch gern meine Möglichkeiten.«
»Wer hat die Wilsons getötet, Marko? Wer hat versucht, dich zu töten?«
Er zuckt die Schultern. »Wer weiß, Mann? Amerika ist ein verrücktes Land.«
Markos osteuropäischer Akzent zusammen mit seiner schlaksigen Gestalt erinnern mich stark an Goran Ivanisevic, den kroatischen Tennisstar. Marko ist attraktiver als Ivanisevic, aber er sieht nicht ganz so gesund aus.
»Hör zu, Marko«, sage ich in freundlichem Tonfall. »Ich bin nicht hergekommen, um dir irgendwas zu tun. Im Gegenteil, wenn du mich lässt, kann ich dir mit ziemlicher Sicherheit helfen. Ich weiß, dass du ein paar neue Absatzmärkte für Drogen bei den weißen Studentenverbindungen an der Ole Miss und lsu eröffnet hast. Wahrscheinlich auch noch an anderen Orten. Aber nun bist du entbehrlich geworden.«
»Cyrus scheint dieser Meinung zu sein, ja.«
Er ist aufrichtig. Ein guter Anfang. »War es Cyrus, der die Wilsons umgebracht hat?«
»Keine Ahnung, Mann.«
»Oder waren es die Asiaten?«
Jede Frivolität ist mit einem Schlag aus seinem Gesicht verschwunden. »Sie wissen eine ganze Menge, Mr Cage. Vielleicht zu viel, oder?«
»Ich bin nicht der Einzige, der das alles weiß«, sage ich. Tief unten auf Markos Bauch entdecke ich eine weiße Masse aus Narbengewebe, durchsetzt mit dunklem Rot. Wade Anders hat mir erzählt, dass Marko als Kind von einem Bajonett durchbohrt wurde.
Marko schnüffelt wie ein Fuchs und blickt zur Straße hinauf. »Dieser Bulle mit der komischen Frisur wusste es. Sehen Sie sich an, was mit ihm passiert ist.«
»Ich habe gesehen, wie die Asiaten ihn erschossen haben.«
»Vielleicht denken die Asiaten auch, dass ich entbehrlich bin? Falls ja, bin ich schon so gut wie tot. Ich könnte ihnen wahrscheinlich entkommen, wenn ich nach Kroatien zurückkehren würde, aber ich will nicht wieder dahin.«
»Kommst du wieder zur Schule?«
»Kann ich nicht.«
»Möchtest du denn keinen Abschluss?«
Winzige Lichtpunkte tanzen in seinen Augen. »Ich möchte leben.«
»Wie kannst du in den Vereinigten Staaten bleiben, wenn du keinen Abschluss machst und ans College gehst?«
Marko zuckt die Schultern. »Ich kann überall leben. Ich werde einfach jemand anders.«
»Möchtest du so dein Leben verbringen? Als jemand anders?«
»Könnte für ’ne Weile ganz lustig sein.«
Ich halte ihm die leeren Hände hin und trete einen Schritt näher. Wir sind nicht weiter als anderthalb Meter auseinander. »Die Drogen interessieren mich nicht, Marko. Ich bin hier,weil ich meinen Freund retten möchte. Weißt du, von wem ich rede?«
»Von diesem Doktor. Dem Kerl, der Kate vergewaltigt hat.«
»Warum sagst du das?«
Wieder zuckt Marko die Schultern. »Weil es alle sagen. Der Doktor hat sie vergewaltigt und anschließend ermordet.«
»Drew würde so etwas niemals tun. Er hat Kate geliebt.«
Das scheint Marko zu amüsieren. »Männer bringen andauernd irgendwelche Frauen um, die sie lieben, oder? Und umgekehrt. Wie nennen Sie es hier in diesem Land? Verbrechen aus Leidenschaft?«
»Ja. Aber bei Kate war es etwas anderes.«
»Ja?« Er sieht mich verwirrt an. »Was denn?«
»Das versuche ich herauszufinden. Ich glaube, jemand anders hat Kate vergewaltigt und getötet. Jemand, der sie vielleicht nicht
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